Die Welt aus den Fugen
in diesem Raum ist die VolksÂrepublik China. Europa spielt hier keine relevante Rolle mehr.
Es bedarf blutiger Unruhen, um die Aufmerksamkeit der Medien aufzuschrecken. Im südlichen Marktzentrum Osch stoÃen alle Gegensätze Zentralasiens aufeinander, vor allem die Feindschaft zwischen den beiden Völkerschaften der Kirgisen und der Usbeken, die Stalin einst nach dem Prinzip »Teile und herrsche« in unsinnige Staatsgrenzen gepreÃt hatte. Von der Geschäftigkeit der Metropole Osch, wo einst alle Rassen Asiens wetteifernd ihren Handel trieben, ist heute wenig übrig geblieben. Osch befindet sich bereits in jenem Ferganatal, dessen gröÃter Teil seinerzeit der Sowjetrepublik Usbekistan zugeschlagen wurde. Der Machtanspruch von 25 Millionen Usbeken lastet nicht nur auf Kirgistan. Im Ferganatal hatte sich der Widerstand der islamischen Gotteskämpfer, der Basmatschi, wie man sie nannte, bis in die 30er Jahre erhalten. Statt Dschingis Khan haben sich die Usbeken den fürchterlichen Eroberer und Schlächter Tamerlan auf den Sockel gehoben und feiern ihn mit pompösen Opern. Auf den Weideflächen von Kirgistan ist die Zeit stehengeblieben. Die Jurten der Nomaden gruppieren sich hier noch wie zu Zeiten Dschingis Khans.
Die Dämonen von Osch
Der Salomonberg, der die Stadt Osch überragt, ist bis auf den heutigen Tag ein Treffpunkt schamanistischer Bräuche geblieben. So soll hier von weiÃgekleideten Frauen eine von Dämonen Besessene von ihren bösen Geistern durch Stockschläge befreit werden. Von diesem Salomonberg aus war seinerzeit auch der Timuride Babur aufgebrochen, um sein indisches GroÃreich der Moguln zu errichten. Die Gegenwart ist ernüchternder. Da sammelt sich eine Hochzeitsgesellschaft, die von dem blühenden Sumpf der Korruption profitierte, vor dem soldatischen Ehrenmal aus der Sowjetzeit. Dann wandelt das Brautpaar auf die mächtige Leninstatue zu, die dem Wechsel der Zeiten bisher widerstanden hat.
In der Hauptstadt Kirgistans, in Bischkek, das einst Frunse hieÃ, sind andere Denkmäler aus der marxistischen Vergangenheit erhalten geblieben. Da reitet General Frunse, der mit den Brigaden seiner Roten Armee Zentralasien eroberte, weiterhin auf seinem stolzen Pferd. Und die kirgisische Kolchosführerin, die aufgrund ihrer kommunistischen Ãberzeugung vom islamischen Widerstand ermordet wurde, reiÃt sich mit trotziger Geste den Schleier vom Gesicht.
Wird das kleine Kirgistan den weit mächtigeren Nachbarstaaten auf Dauer gewachsen sein? Die bescheidenen Streitkräfte wären im Ernstfall wohl auf das Wohlwollen Moskaus angewiesen. Schon gewinnt die Religion des Propheten Mohammed in diesem bislang nur oberflächlich islamisierten Territorium an Zulauf. Bedrohlich für die jetzigen Machthaber, die sich in bitteren Fehden gegenüberstehen, ist die Tatsache, daà es vor allem junge Kirgisen sind, die sich hier zum Freitagsgebet in Bischkek versammeln.
Unmittelbar neben der Hauptstadt hat die US Air Force einen Stützpunkt eingerichtet. Die Basis von Manas ist unentbehrlich geworden für den Nachschub der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan. In einer gewaltigen Halle sind die jüngsten Verstärkungen aus USA in voller Kampfausrüstung angetreten. Sie stehen hier fast so unbeweglich wie die tönernen Grabwächter des chinesischen Gründungskaisers Qin Shi Huangdi in Xian. In den Gesichtern der GIs spiegelt sich die UngewiÃheit über das Schicksal, dem sie am Hindukusch entgegensehen. Afghanistan ist gewissermaÃen zum gordischen Knoten ganz Zentralasiens geworden. Und kein Alexander der GroÃe ist in Sicht, der ihn mit seinem Schwert zerschlagen würde.
Hat wirklich alles mit der islamischen Revolution des Ayatollah Khomeini im Iran begonnen? In jenem Jahr 1979, als Khomeini seinen Gottesstaat gründete? Seit dieser Statthalter des Verborgenen Imam gestorben ist, ist auch der religiöse Eifer, zumindest in der Hauptstadt Teheran, zum Erliegen gekommen.
Als im Juni 2009 Hunderttausende auf die StraÃen gingen, um gegen die Wiederwahl des Präsidenten Ahmadinejad zu protestieren, haben viele daran gezweifelt, ob die Islamische Republik Bestand haben würde. Aber sie stützt sich inzwischen auf andere Kräfte als die schiitische Geistlichkeit. In den Revolutionswächtern, in der ideologisch verhärteten EliteÂtruppe des Regimes, sehen die Experten ein Potential,
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