Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
Vom Netzwerk:
Mitgliedern des Übergangsrates handelt es sich um Personen, die während der Diktatur hohe Ämter eingenommen hatten. Der Präsident des Rates etwa war Justizminister, als die schändliche Inhaftierung der bulgarischen Krankenschwestern stattfand.
    Man kann nur hoffen, daß die Stammesloyalitäten der Libyer und ihre religiösen Gegensätze nicht in eine interne Kraftprobe, ja in einen Bürgerkrieg abgleiten. Manche Beobachter verweisen bereits besorgt auf den erschreckenden Präzedenzfall der somalischen Anarchie.
    Wie auch immer: Der Umsturz von Tripolis hat Auswirkungen auf die Nachbarschaft im Maghreb sowie auch in der breiten, von schwarzen Muslimen bevölkerten Sahelzone südlich der Sahara. Zwischen Algerien, das ein Wiederaufleben der internen Gemetzel befürchtet, und den provisorischen Behörden von Tripolis zeichnen sich heftige Spannungen ab. Die Gefolgsleute, über die Qadhafi bei den kriegerischen Wüstennomaden der Tuareg verfügte, könnten dafür sorgen, daß die Wirren Libyens auch in den Sahelstaaten Mali, Niger und Tschad Widerhall finden. Schon hat der Jihad auf einige muslimische Nordprovinzen von Nigeria übergegriffen. Damit besteht die Gefahr, daß ganz Westafrika ins Wanken kommt.
    Â»El Qaida existiert nicht mehr«
    Interview, 10. 09. 2011 2
    Der 11. September 2001 hat die Welt verändert. Wo besonders?
    Er hat vor allem die Machtposition der Vereinigten Staaten von Amerika verändert. So zutiefst tragisch ein Anschlag mit nahezu 3000 Toten auch ist: Die Weltmacht USA hat darauf in geradezu hysterischer Art und Weise reagiert, im Grunde aber nicht die Maßnahmen getroffen, die man hätte treffen sollen.
    Was wurde aus Ihrer Sicht falsch gemacht?
    Daß aus einer Spontanreaktion heraus der Blitzfeldzug in Afghanistan geführt wurde, ist durchaus verständlich. El Qaida, soweit es dort existierte, wurde aus Afghanistan vertrieben. Dann aber hätte man die Afghanen sich selbst überlassen müssen, so schwierig das auch gewesen wäre. Man hätte nicht am Hindukusch bleiben dürfen.
    Und der Kampf gegen den Terrorismus?
    Man hätte erkennen müssen, daß die Anschläge kein afghanisches Unternehmen waren, sondern ein saudiarabisches. Es war kein Afghane beteiligt. Und was Osama Bin Laden betrifft: Er hätte aus Afghanistan heraus nicht die Möglichkeit gehabt, ein Unternehmen wie die 9/11-Anschläge zu planen und zu koordinieren. Man hätte in den USA also in eine ganz andere Richtung denken müssen. Aber Bin Laden hat dort Zuflucht gefunden. Aus alter Verbundenheit. El Qaida aber hat dort nie eine Rolle gespielt. Stammesführer sagten mir bei Besuchen in Dörfern des Hindukusch, daß sie den Namen El Qaida zum ersten Mal nach den Anschlägen gehört haben.
    Wie sehr hat sich die arabisch-islamische Welt in dieser Zeit verändert?
    Ohne den Amerikanern, deren Waffensysteme und Ausrüstung hervorragend sind, einen Vorwurf machen zu wollen: Die heutigen Partisanenkriege werden asymmetrisch geführt, und damit ist ihnen niemand mehr gewachsen. Mit dieser Form der Kriegsführung werden die Russen im Kaukasus nicht fertig, die Amerikaner wurden es im Irak nicht, und selbst die Israeli sind damit 2006 im Südlibanon nicht fertig geworden. Die USA stehen mit einem ungeheuren Waffenarsenal und einer ungeheuren Hochtechnologie ziemlich hilflos der neuen Entwicklung gegenüber.
    Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
    Die Amerikaner können es sich heute – auch aus finanziellen Gründen – nicht mehr leisten, in einen weiteren Kriegsschauplatz einzusteigen. In Libyen halten sie sich auch deshalb sehr zurück. Und an ein militärisches Vorgehen gegen Syrien ist überhaupt nicht zu denken.
    Zu den 9/11-Folgen gehört ein seit zehn Jahren tobender Krieg am Hindukusch. Was ist Ihr Urteil?
    Das gesamte Konzept dieses Krieges hat nie gestimmt. Das begann damit, daß man sich auf Artikel 5 des NATO-Vertrags berufen hat, der bei Angriffen durch einen anderen Staat greift. Die Angreifer waren aber kein Staat, es war eine Bande. Deutschland hat aus Verbundenheit – die auch aus Zeiten des Kalten Krieges herrührt – mitgemacht. Aber man hätte wissen müssen, daß man gegen Terror keinen Krieg führen kann.
    Und das bedeutet …
    Daß man sich auf eine Operation eingelassen hat, die weder geographische noch temporäre

Weitere Kostenlose Bücher