Die Welt aus den Fugen
Parlamentswahlen in Gefahr?
Natürlich sind sie das. Kein Mensch kann sagen, wie ehrlich und fair diese Wahlen verlaufen werden. In diesem Land sind â falls es Wahlen gegeben hat â immer Traumergebnisse für die jeweilige Regierungspartei von über neunzig Prozent erzielt worden. Es waren irrelevante Resultate. Diese Praktiken auszumerzen wird schwierig. AuÃerdem: Wer soll die anstehenden Parlamentswahlen in einem Land, in dem die Bevölkerung zum GroÃteil aus Analphabeten besteht, denn überwachen? UnregelmäÃigkeiten â um es schonend zu formulieren â sind auf jeden Fall zu befürchten.
Droht eine Wahlfarce?
Von vornherein davon auszugehen wäre voreilig. Es gibt ja einen Präzedenzfall: die Parlamentswahlen von 1991 in Algerien. Auch dort haben die Militärs â die seit der Unabhängigkeit 1962 das Land regieren â Wahlen zugelassen. Und zu ihrer groÃen Ãberraschung hat die oppositionelle islamische Heilsfront FIS gewonnen. Eine Partei also, die eigentlich kaum Einfluà hatte, auch nicht fanatisch war und sich im Volk vor allem durch karitatives Engagement beliebt gemacht hat. Die FIS hätte die absolute Mehrheit im Parlament gehabt, wenn das Militär nicht geputscht hätte.
Sie haben eben mit der FIS das Stichwort Fundamentalismus gegeben: Welchen Stellenwert haben die Muslimbrüder oder radikale Gruppen wie die Salafisten in Ãgypten? Wie groà ist ihr EinfluÃ?
Hier muà man einen groÃen Unterschied machen â und ich fürchte, daà dies im Westen nicht geschieht. Die Muslimbrüder, die ursprünglich eine Bewegung gegen die britischen Besatzer waren â Ãgypten war ja bis zum Zweiten Weltkrieg ein britisches Protektorat â, haben einen Aufstand sowohl religiöser als auch nationaler Art ausgelöst. Damals waren sie noch sehr stark islamistisch und im religiösen Sinne extrem geprägt. Das hat sich inzwischen aber stark abgemildert.
Wie sind die Muslimbrüder heute einzustufen?
Inzwischen ist ein groÃer Teil des mittleren Bürgertums und sogar der Eliten in der Bruderschaft vertreten. Sie waren unter Nasser total verboten und wurden teilweise sogar in Lagern interniert. Unter Sadat und Mubarak wurden sie zumindest halbwegs geduldet und haben sich zu einem relativ gemäÃigten Element entwickelt. Sollten sie an die Macht kommen â was vorauszusehen ist â, sollte sich der Westen nicht groà aufregen. Dann ist dies eine Entscheidung der ägyptischen Bevölkerung â und die ist zu respektieren. Wir müssen uns allmählich daran gewöhnen, daà in unserer Nachbarschaft und in den islamischen Ländern auch islamische Regierungen an der Macht sind.
Das ist aber nur eine Seite des religiösen Spektrums.
Ja, es gibt auch eine andere Richtung, und die ist sehr gefährlich. Es gibt in Ãgypten auch die extrem radikalen Gruppen, die bereits vor längerer Zeit blutige Massaker angerichtet haben. Auch unter Touristen, wie etwa 1997 vor dem Hatschepsut-Tempel bei Luxor. Das taten sie allerdings nicht, um speziell ausländische Touristen oder den Westen im allgemeinen zu treffen, sondern um den Tourismus als wichtige Einnahmequelle des Regimes auszutrocknen und auf diesem Weg die Mubarak-Diktatur zu schwächen. Diese Gruppen existieren weiter. Zudem gibt es seit neuestem eine Gruppe, die sich NUR nennt, und das sind die Salafisten.
Welche religiösen Vorstellungen haben diese radikalen Gruppen?
Sie vertreten radikal-religiöse Ideen, wie sie in Saudi-Arabien vorherrschen. Das dortige Wahhabiten-Regime ist es auch, das die Salafisten, die für einen intoleranten und fanatischen Islam stehen, finanziert und unterstützt. Man sollte hoffen, daà sich die Muslimbrüder â die diese Extremisten ebenfalls ungern sehen â und nicht die Salafisten durchsetzen.
Eine dubiose Situation!
Ja, sie ist absurd. Die wirkliche Gefahr, die uns droht â in Ãgypten, auch in anderen Ländern, sogar in Bosnien â, geht von den extremistischen saudischen Wahhabiten aus.
Der Militärrat in Kairo spricht inzwischen von einem schnellen Ãbergang zur Demokratie. Wie glaubwürdig sind derartige Ankündigungen und auch das Versprechen, die Macht am 1. Juli 2012 an eine Zivilregierung abzutreten?
Im Moment erleben wir von seiten des Militärs eine groÃe Enttäuschung. Marschall
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