Die Welt aus den Fugen
erinnert haben, die auf afrikanischem Boden gegen die Achsenmächte Deutschland und Italien kämpfte. Und vielleicht hat der Einsatz in Tripolitanien auch bei den Briten nostalgische Erinnerungen geweckt, an die Schlacht bei El Alamein und das verflossene Empire.
Aber auch Obama hat die NATO -Intervention mitgemacht.
Die Amerikaner haben sich aber relativ zurückgehalten. Sicher ist jedoch: Ohne deren Logistik und Spezialwaffen wäre die Operation nicht erfolgreich gewesen. Ich habe die Bombeneinschläge gesehen. Das war ziemlich präzise Arbeit.
Sie waren vor Ort?
Ja. In Tripolis sieht man keine groÃen Zerstörungen, auÃer in Bab el-Aziziya. Aber Misrata ist durch den Häuserkampf total zerstört worden. Wir sind dort nachts um drei Uhr angekommen, haben kein Hotel gefunden und irgendwo in einer Ecke geschlafen. Am nächsten Tag haben wir dann das totale Chaos gesehen. Unglaublich.
Sie reisen noch forsch in Kriegs- und Krisengebiete. Haben Sie keine Angst, entführt zu werden?
Wer entführt einen 87jährigen?!
Wer herrscht jetzt in Tripolis?
Der starke Mann dort ist Abdel Hakim Bel Haj, ein El-Qaida-Terrorist und Salafist, der in Guantánamo saÃ, von den USA an Qadhafi überstellt und dann von einem seiner Söhne amnestiert worden ist. Bel Haj hat sich nach der Eroberung von Tripolis als Oberkommandierender der sogenannten Freiheitskämpfer durchgesetzt und wird zweifellos noch eine entscheidende Rolle spielen. In unserem Hotel in Tripolis saÃen viele freundliche Leute in Tarnuniformen und reichlich mit Waffen bestückt. Ich fragte: »Zu welcher Gruppe gehört ihr?« Sie sagten: »Zu Bel Haj.«
Warum sagen Sie sogenannte Freiheitskämpfer?
Weil ich nicht weiÃ, für welche Freiheit sie kämpfen. Es gibt in Libyen vierzig Kataeb, Militärformationen, die wer weià wem gehorchen. Als ich von Misrata zur tunesischen Grenze gefahren bin, wurde ich alle zwei Kilometer von anderen bewaffneten Einheiten kontrolliert.
Sie meinen, die Entscheidung ist in Libyen noch nicht gefallen?
In keinster Weise.
In der Ãbergangsregierung sind viele vom alten Regime â¦
Ja, aber die gibt es wohl überall. Man hatte sich darauf geeinigt, nach der Einnahme von Sirte eine neue Regierung zu bilden. Wer wird in ihr sitzen? Welche Stämme werden vertreten sein? Ich habe niemanden gefunden, der mir sagen konnte, wie stark zum Beispiel die kriegerische Bruderschaft der Senussi ist, die in der Vergangenheit in der Cyrenaika immer wieder zur Rebellion aufgerufen hat und die Qadhafi noch unterdrücken konnte.
Wie stark sind noch Qadhafis ehemalige Gefolgsleute?
Auch das ist fraglich. Es ist doch erstaunlich, wie lange sie Widerstand geleistet haben, obwohl ihre letzten Bastionen völlig eingekreist waren, ohne Zufuhr von Nahrungsmitteln oder Munition. Es könnte noch lange ein Guerrillakampf toben. Selbst die Wüste eignet sich dafür. Die Gefahr eines Bürgerkrieges ist durchaus real.
Meine gröÃte Sorge ist jedoch, daà sich diese Unruhe ausbreiten könnte auf die Sahelzone. Sie greift schon auf Niger, Tschad und Mali über. In Bamako erschien ein Internetartikel: »Tripolis o. k. â Sahel k. o.«. Wenn die Söldnerscharen, die für Qadhafi kämpften, zurückströmen, könnten die ethnischen und religiösen Konflikte in der Sahelzone eskalieren. Die Sahara ist keine unüberwindliche Barriere mehr, sondern durchlässig wie zur Zeit von Ibn Battuta und den Sklavenkarawanen.
Kommen wir zum unmittelbaren Nachbarn von Libyen, dem noch ruhigen Algerien.
Ich war im Mai dort. Das Land scheint nach auÃen ruhig, aber wenn man in die Kabylei fährt, spürt man die Spannung. Bei Tizi Ouzou hört die Gemütlichkeit auf. Da wird einem höflich beschieden: »Da fahren wir nicht weiter.« Kurz nach meinem Besuch in Tizi Ouzou und Tipaza explodierten Sprengsätze, die Soldaten und Zivilisten töteten.
Algerien könnte also auch von Gewalt erfaÃt werden?
In Algerien ist der Bürgerkrieg der 90er Jahre noch in frischer Erinnerung, als fast 200000 Leute umgekommen sind. Dieses starke Trauma erklärt die relative Ruhe zwischen Constantine und Oran.
Jüngst hat sich Ben Bella wieder zu Wort gemeldet, einer der Führer des Unabhängigkeitskrieges und erster Präsident Algeriens, den Boumedienne 1965 heimtückisch stürzte. Der heute über 90jährige, immer noch
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