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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Teilen der israelischen Bevölkerung traumatisch verankert – obwohl eine solche Hypothese absurd erscheint, weil sie die Auslöschung Irans durch die amerikanische Overkill-Kapazität zur Folge hätte.
    Das Territorium des Staates Israel, nicht größer als das deutsche Bundesland Hessen, könnte theoretisch durch den Einschlag zweier Thermonuklearbomben in Tel Aviv und in Haifa in eine radioaktive Trümmerstätte verwandelt werden, während die großen Flächenstaaten, wenn sie über ein Nukleararsenal verfügen, zum Gegenschlag gegen den potentiellen Aggressor ausholen könnten. In normalen Situationen ist die Atomwaffe kein Instrument blindwütiger Zerstörung, sondern dient der Abschreckung. Die Franzosen haben deshalb ihre »force de frappe« in »force de dissuasion« umbenannt. Das nukleare Patt zwischen den beiden feindlichen Giganten des Kalten Kriegs, den USA und der Sowjetunion, hatte dafür gesorgt, daß die Regionalkonflikte nie in eine mörderische Konfrontation großen Stils ausarteten.
    Wenn andererseits Pakistan von den weit überlegenen konventionellen Streitkräften des indischen Erzfeindes nicht überrannt wurde, so ist das im wesentlichen auf die Tatsache zurückzuführen, daß nicht nur Neu-Delhi ein beachtliches Nukleararsenal besitzt, sondern auch die Generale von Islamabad über eine steigende Zahl von Atombomben und die dazugehörigen Lenkwaffen verfügen.
    In Ermangelung territorialer Tiefe verlagert Israel konsequenterweise seine Fähigkeit zum nuklearen Gegenschlag, zur »second strike capability«, auf das Meer und stattet die aus Deutschland gelieferten hypermodernen U-Boote der Dolphin-Klasse mit Abschußrampen für nukleare Sprengköpfe aus. Es sichert sich damit die Fähigkeit zu einem vernichtenden Gegenschlag. In Reichweite des iranischen Staatsgebietes und selbst der Hauptstadt Teheran werden diese Instrumente einer nuklearen Apokalypse deshalb auf Lauer liegen und – im höchst unwahrscheinlichen Extremfall – in der Lage sein, aus den Gewässern des Indischen Ozeans ihre Geschosse abzufeuern.
    In einer Rede vor dem israelischen Parlament hatte Angela Merkel die in Deutschland umstrittene Formel benutzt, die Sicherheit Israels sei Teil der »deutschen Staatsräson«. Ein Gedicht von Günter Grass, der von israelischen Erwägungen fabuliert, mit Hilfe deutscher U-Boote unter den Persern ein fürchterliches Massaker zu veranstalten, hat in Deutschland zu einer giftigen Debatte geführt. Meinungsumfragen haben allerdings ergeben, daß die Sympathie der deutschen Bevölkerung für die Politik des Judenstaates, die als Reueakt für den Horror des Holocaust gewertet werden kann, in der jüngsten Zeit merklich geschrumpft ist.
    Amerikaner und Europäer werden versuchen, den Iran mit allen erdenklichen Sanktionen zu belegen, um die Mullahkratie von der befürchteten Fertigung eigener Atomwaffen abzubringen. So hofft man, die Luftwaffe der »Zahal« von jenem Bombardement der iranischen Nuklearfabriken abzubringen, von denen in radikalen zionistischen Kreisen hartnäckig die Rede ist.
    Was würde eine solche Präventivaktion überhaupt bringen, falls es den Kampfflugzeugen mit dem Davidstern tatsächlich gelänge, ihre Ziele zu erreichen? Die gewaltigen Felsmassen, die den unterirdischen Nuklearanlagen des Iran Schutz bieten, würden vermutlich auch durch die mächtigsten aus den USA gelieferten »Bunker Busters« nicht zum Einsturz gebracht. Ein Zeitgewinn von zwei bis drei Jahren, wie in Je­rusalem argumentiert wird, brächte nur einen kleinen Vorteil.
    Ein solches Vorgehen würde im übrigen genau das bewirken, was die westliche Allianz zu verhindern sucht, nämlich eine zusätzliche Atomaufrüstung in der arabisch-islamischen Welt. Erwähnen wir nur das Beispiel Ägypten: Das gesamte Niltal mit seiner Bevölkerung von achtzig Millionen Menschen droht in einer wahren Sintflut unterzugehen, falls eine feindliche Atombombe den Assuan-Staudamm zerstören würde und die ungeheuren Wassermassen des Nassersees sich bis ins Delta und nach Alexandria ergössen. Angesichts der totalen Ungewißheit, die seit dem »Arabischen Frühling« in Kairo vorherrscht, ist nicht auszuschließen, daß die immer noch mächtige Generalität Ägyptens in aller Heimlichkeit versuchen wird, eine eigene

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