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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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nukleare Abschreckung gewissermaßen als verzweifelte Lebensversicherung zu erwerben.
    Befreier oder Terroristen
    Interview, Juni 2012 7
    Herr Scholl-Latour, seit Anfang 2011 haben der steckengebliebene »Arabische Frühling« und andere Bewegungen Unruhe in viele arabische Länder gebracht. Derzeit steht Syrien im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie sind die Informationsbröckchen, die Europa erreichen, einzuordnen?
    Was Syrien betrifft, so wird in der Presse vieles hochgespielt und maßlos übertrieben. Verglichen mit seinem Vater ist der jetzige syrische Präsident Assad ein harmloser Mann, so schrecklich auch die Ereignisse sind. Dagegen verliert die Presse die Entwicklung in anderen Ländern völlig aus dem Blick. Im Libanon und Iran beispielsweise.
    Um was geht es bei diesen Konflikten, von denen immer wieder zu lesen ist? Wo liegen die Grundmotive?
    Nicht um Menschenrechte, das ist Unsinn! In diesem Punkt irrt die deutsche Politik, die mit erhobenem Zeigefinger moralisiert. Ganz im Gegenteil, sogar in der liberalen Mittelschicht der arabischen Länder wird die Befreiungsbewegung vielfach skeptisch gesehen. Viele lehnen die Bewegung der sympathischen jungen Menschen ab. Sie vermißen Führungspersonen und vor allem ein Programm.
    Wo liegen also die Wurzeln?
    Die eigentliche Auseinandersetzung dreht sich um handfeste Interessen, gewaltige Interessen. Es geht bei alledem, was wir beobachten, um die Frage: Wer bekommt die Vorherrschaft am Persischen Golf?
    Es wird kolportiert, letztlich gehe es um Erdöl.
    Selbstverständlich geht es auch um Erdöl. China steht vor der Tür am arabischen Golf, man will China hinausdrängen. War­um hat im Sudan Omar el-Bashir seinen Kredit verspielt? Doch nicht wegen seiner blutigen Niederschlagung der Rebellion von Darfur. Der Mann hat sein Öl an die Chinesen verkauft, dies war der Grund. Die Machthaber in diesem Raum können sich die schlimmsten Verbrechen erlauben, solange sie den geostrategischen und vor allem auch den wirtschaftlichen Interessen des Westens folgen. Dies macht die Reaktion von Europa so heuchlerisch.
    Geht es nur um Erdöl?
    Nicht nur! Neben dem Erdöl spielen andere Motive in den Konflikt hinein. Viele in Europa nehmen an, hinter dem Konflikt von Syrien steht der Ruf nach Freiheit und Menschenrechten. Das ist Unsinn. Bei diesem Konflikt geht es um die Frage, ob die Iraner eine Verbindung zum Mittelmeer bekommen – und zwar über Irak, Syrien und den Libanon. Dies bildet den Hintergrund der Aktionen gegen den syrischen Präsidenten.
    Immerhin vermutet man, daß Iran an seiner Atombombe baut.
    Die Atombombe wird überschätzt – falls Iran sie überhaupt baut.
    Zumindest schaffen die Iraner die Voraussetzungen für den Bau.
    Dies mit Sicherheit. Aber die Bombe ist nicht gedacht, um Israel auszulöschen oder sie gar auf Europa abzuschießen. Ich habe Putin nie so lachen hören wie an dem Tag, als man ihm weismachen wollte, der für Europa diskutierte Raketenschutzschild sei gegen den Iran gerichtet. Bei der iranischen Atombombe würde es sich um reine Abschreckung handeln. Ich kenne keinen Staat, der seine Atombombe mit der Absicht für einen Abwurf gebaut hat. Auch Israel verwendet seine Bomben nur zur Abschreckung.
    Angenommen, Israel würde den Iran angreifen, um den möglichen Bau einer Atombombe zu unterbinden …
    Ich glaube nicht mehr an einen Angriff Israels auf den Iran.
    Falls doch?
    Israel würde mit konventionellen Waffen angreifen, nicht mit Atomwaffen. Ob diese konventionellen Bomben allerdings den Schutz der iranischen Bunkeranlagen durchschlagen, ist in keiner Weise gewiß. Man darf eines nicht vergessen: Der Iran hat sich zu einer wichtigen Macht im mittelöstlichen Raum entwickelt. Auch ohne Atombombe stellt er ein beachtliches Potential dar. Er wird von der westlichen Welt derzeit völlig unterschätzt.
    Die teils aggressiven außenpolitischen Ankündigungen von Präsident Mahmud Ahmadinejad bereiten westlichen Sicherheitspolitikern Sorgen. Die Politiker machen nicht den Eindruck, daß sie Ahmadinejad unterschätzen.
    Daß der iranische Präsident über die Atombombe verfügen kann, sollte diese eines Tages existieren – dies ist doch eine völlige Fehleinschätzung des Westens. Die letzte Entscheidung liegt beim höchsten geistlichen Führer, Ali Khamenei, und vor allem bei den Revolutionswächtern,

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