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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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gewissen Würde diesen unseligen Kriegsschauplatz verlassen; andererseits möchte man verhindern, daß nach dem Abzug das Land in das blutige Chaos der Stammeskriege zurückfällt. Anfangs hatten sich die deutschen Offiziere ehrlich bemüht, weisungsgemäß die »Herzen und Gemüter« der Einheimischen zu gewinnen, »to win hearts and minds«, wie es im amerikanischen Militärjargon hieß, und ich hatte bei einem Vortrag vor den Generalen und Obristen des NATO-Kommandos in Münster wohl den einen oder anderen schockiert, als ich die Meinung vertrat, »the best way to win hearts and minds is to win the war – der beste Weg, Herzen und Gemüter zu gewinnen, besteht darin, den Krieg zu gewinnen«.
    An Ort und Stelle stellte sich bald heraus, daß die Ausbildung und psychologische Vorbereitung des deutschen Kontingents für diesen exotischen Partisanenkrieg unzureichend, daß die Ausrüstung für das zentralasiatische Gelände inad­­ä­quat war. Das Konzept des »Bürgers in Uniform« war auf eine unerbittliche Guerilla nicht zugeschnitten. Bei jedem tödlichen Schußwechsel drohte ein Gerichtsverfahren, nur noch die Elite-Einheiten verließen die befestigten Camps. Die Masse der eingeflogenen Soldaten verharrte während der ganzen Dauer ihres Afghanistan-Aufenthalts in den stark abgesicherten Quartieren. Von einer flächendeckenden Kontrolle der zugeteilten Nord-Ost-Provinzen konnte nicht die Rede sein. Spätestens im Jahr 2003 hätte jeder verantwortliche Komman­deur erkennen und dem zuständigen Minister melden müssen, daß dieser Krieg nicht zu gewinnen war und mit einem mehr oder weniger verlustreichen »disengagement« enden würde.
    Zur offiziellen Desinformation und zur unbegreiflichen Selbsttäuschung zählt auch die Vorstellung, daß nach der Räu­mung Afghanistans durch die westliche Allianz die in aller Eile aufgestellte einheimische Nationalarmee die notwendige staatliche Stabilität verbürgen würde. Daß die vererbte Feindseligkeit zwischen den verschiedenen Völkerschaften – es seien nur die Paschtunen und die Tadschiken erwähnt – neue Stammeskriege heraufbeschwören würde, will man heute noch nicht wahrhaben. Schon hat sich herausgestellt, daß auf die Nationalarmee kein Verlaß ist. Die jüngsten Verluste in den Reihen von ISAF sind allzuoft auf angebliche afghanische »Waffenbrüder« zurückzuführen, die sich als eingeschleuste Taleban erweisen. Angeblich sollen auch über das Jahr 2014 hinaus ausländische Instrukteure den Afghanen beibringen, wie man Krieg führt, als ob nicht jeder Paschtune von Kind auf gelernt hätte, mit der Kalaschnikow umzugehen und sich im felsigen Gelände perfekt zu tarnen.
    Wer erinnert sich heute noch daran, daß die panislamische Organisation El Qaida aus jener »grünen Legion« hervorgegangen ist, die während der sowjetischen Okkupation von den vereinten Geheimdiensten der USA und Pakistans aufgestellt und von Saudi-Arabien finanziert wurde? Die Freiwilligen des Heiligen Krieges standen nach der Vertreibung der Sowjetarmee bei den überwiegend konservativen Diktatoren und Potentaten ihrer Heimatländer im Verdacht, potentielle Revolutionäre und religiöse Zeloten zu sein. Schon in den ersten Jahren ihres Kampfes gegen die gottlosen »Schurawi«, gegen die Sowjets, hatten sie den damals absurd klingenden Kampfruf »Markbar Amrika – Tod den Amerikanern!« angestimmt, wie ich es selbst im Verbund der streng religiösen »Hezb-e-Islami« in der Aufstandszone erlebt habe.
    Nicht nur die Organisation, die man heute El Qaida nennt, geht auf die Unterstützung des antisowjetischen Abwehrkampfes durch US-Amerikaner und Saudis zurück. Auch die »Taleban«, die sogenannten Koranschüler, wurden später in den Flüchtlingslagern des pakistanischen Grenzgebietes rekrutiert, um dem blutigen Chaos, das nach der Niederlage der Roten Armee in fast allen Regionen Afghanistans aufkam, entgegenzu­wirken. Wen störte es damals schon in Langley oder im Pentagon, daß sich – unter Mitwirkung des pakistanischen Geheimdienstes ISI – fanatische Horden junger islamischer Jihadisten zusammenschlossen, die der zügellosen Anarchie der sich befehdenden Mujahidin-Fraktionen überraschend schnell ein Ende setzten, aber die koranische

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