Die Welt aus den Fugen
motivierte Mordanschläge auf Muftis und Imame gemeldet, die in den Augen der Extremisten zu eng mit den russischen Behörden zusammenarbeiteten. Noch ist nichts entschieden, aber auch in Ufa, der Hauptstadt der Autonomen Republik Baschkortostan, die das islamische Siedlungsgebiet bis zu den südlichen Ausläufern des Ural und in die unmittelbare Nähe des unabhängigen Staates Kasachstan verlängert, könnte eine ähnliche Entwicklung einsetzen. In der Moskauer Zentrale reagieren die Sicherheitsorgane zunehmend nervös auf diese bedrohlichen Signale.
Vor ein paar Jahren hatte ich unter dem Titel »RuÃland im Zangengriff« über den dreifachen Druck berichtet, dem sich Moskau ausgesetzt sieht: der amerikanisch geführte Atlantikpakt, das Aufkommen einer religiösen »Nahda« innerhalb der islamischen »Umma« und die geballte Dynamik der chinesischen Volksrepublik. Die Vereinigten Staaten von Amerika ihrerseits, die mit Europa eng verbündet sind, werden von zwei gewichtigen Gegenkräften bedrängt. Washington hat das anti-imperialistische Aufbegehren des bislang amorphen islamischen Gürtels sowie vor allem das Heranwachsen des Reiches der Mitte zur gleichwertigen, morgen vielleicht überlegenen Weltmacht ins Visier genommen. Ein Minimum an Vernunft hätte den Diplomaten und Strategen der USA geboten, der Gemeinsamkeit der Interessen mit dem postsowjetischen RuÃland gegenüber der muselmanischen und chinesischen Herausforderung Rechnung zu tragen und daraus die Konsequenz einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Moskau zu ziehen.
Statt dessen haben die verantwortlichen Politiker am Potomac auf die von Wladimir Putin angestrebte Wiederbelebung des expansiven russischen Patriotismus mit einer ganzen Serie von Schikanen und EinengungsmaÃnahmen, ja mit der subversiven Tätigkeit ihrer »covert actions« reagiert, als ob im Kreml noch immer die kommunistische Weltrevolution gepredigt würde. Was nun die Westeuropäer betrifft, so muà es jedem objektiven Beobachter als bizarr erscheinen, wenn die Wortführer eines krisengeschüttelten kapitalistischen Systems gegen die Neuwahl Putins zum zarenähnlichen Alleinherrscher unter Berufung auf die universalen Werte der Menschenrechte und der Demokratie mit publizistischer Vehemenz und Polemik vorgehen. Von RuÃland â wie es heute gestaltet und situiert ist â wird mit Sicherheit keine Gefahr mehr für die Europäische Union ausgehen. Wer sich unter den oppositionellen Politikern Moskaus umgesehen hat â ob es sich nun um den biederen Altkommunisten Siuganow, um den exzentrischen Ultranationalisten Schirinowski oder um den schwächlichen Liberalen Jawlinski handelt â, muà zu dem Schluà kommen, daà keiner dieser Männer befähigt wäre, die internen Widersprüche und zentrifugalen Kräfte zu bändigen, denen die russische Union weiterhin ausgesetzt bleibt.
Die Deutschen zumal, die allen Grund hätten, eine symbiotische Kooperation mit RuÃland einzugehen, wie sich das unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders bereits abzeichnete, sind sich offenbar ihrer eigenen Interessen nicht bewuÃt, wenn sie sich über den Mangel an Meinungsfreiheit und Rechtssicherheit des Putin-Regimes entrüsten oder sich anschicken, an dem eindeutig gegen die russischen Interkontinentalraketen gerichteten Abfangsystem der USA mitzuwirken. Was bezweckt Berlin mit der permanenten Einmischung in die internen Angelegenheiten WeiÃruÃlands oder der Ukraine? Bei der tugendhaften Empörung über die unzureichende medizinische Betreuung der Ukrainerin Julia Timoschenko, die die deutschen Politiker davon abhielt, sich zur FuÃballweltmeisterschaft nach Kiew zu begeben, schwingt doch wohl immer noch die Enttäuschung nach, daà die umstrittene »Gas-Prinzessin« und Oligarchin Timoschenko durch den ruÃlandfreundlichen Kraftprotz Janukowitsch abgelöst wurde. Bis ins zentralasiatische Kirgistan hatten die amerikanischen Anstifter staatlicher Zerrüttung mit ihren als NGO-Mitarbeiter getarnten Agenten ausgeholt, um die prorussische Fraktion von Bischkek auszutricksen, mit dem Ergebnis allerdings, daà sich heute â zumal in Osch â die unversöhnlichen Clans und Ethnien einen blutigen Machtkampf liefern.
Der Kreml hat aus dieser westlichen AnmaÃung den Schluà gezogen, daà RuÃland sich auf keinen
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