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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Gesetzgebung, die Scharia, mit extremer Unduldsamkeit und Grausamkeit durchsetzten? Es entstand unter ihrem Oberbefehlshaber Mullah Omar tatsächlich eine bleierne, unerbittliche und reaktionäre Ordnung, wie sie dem saudischen Wahhabiten-Modell entsprach.
    Die amerikanischen Spezialdienste waren – ungeachtet des religiösen Wahns, der von nun an das tägliche Leben der Afghanen bestimmte und erdrückte – vor allem darauf bedacht, für den Bau einer Pipeline des US-Konzerns UNOCAL einen abgesicherten Korridor zu schaffen, der unter Umgehung russischen und iranischen Territoriums die Reichtümer Zentralasiens an Erdöl und Erdgas über Herat und Shindand an die pakistanische Küste des Indischen Ozeans pumpen würde. Sie hatten nicht damit gerechnet, daß nunmehr ein gewisser Osama Bin Laden, der im Krieg gegen die Sowjetunion Freiwillige aus aller Welt mobilisiert und die finanziellen Mittel aus den arabischen Ölstaaten für diesen Heiligen Krieg aufgebracht hatte, mitsamt seiner salafistischen Gefolgschaft zur Konfrontation gegen den anderen, den westlichen Satan, den verruchten und imperialistischen Kapitalismus der USA, aufrufen würde. Mullah Omar, der sich bereits mit UNOCAL handelseinig geworden war, mußte den fanatischen Gotteskriegern aus dem gesamten Dar-ul-Islam, die ihm gegen die Sowjets zur Seite gestanden hatten, dem paschtunischen Ehrenkodex »Paschtunwali« gemäß Zuflucht und Schutz gewähren.
    Das alles ist Vergangenheit. Osama Bin Laden ist nach zehnjähriger vergeblicher Verfolgung schließlich doch auf pakistanischem Boden durch ein Kommando amerikanischer »Seals« erschossen worden. Danach stellte sich heraus, daß dieser Sohn eines saudisch-jemenitischen Baulöwen und Milliardärs eine viel geringere Rolle in dem verzweigten Netz des radikalislamischen Terrorismus gespielt hatte, als die amerikanische Propaganda stets behauptet hatte. Zur Stunde deutet alles darauf hin, daß nach Beendigung der ISAF-Mission das Regime des Präsidenten Karzai in Kabul binnen kurzer Frist zusammenbrechen wird. Am Hindukusch dürfte dann ein rigoroser koranischer Gottesstaat entstehen und das Gemetzel der Stämme neuen Auftrieb finden.
    Halbmond über der Wolga
    Der geordnete Rückzug gilt als eines der heikelsten kriegerischen Unternehmen. Das Problem stellt sich bereits für die in Afghanistan verstreuten Truppen der NATO. Die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad haben sich so dramatisch verschlechtert, daß sich der Transport von Menschen und Material über den Khyber-Paß in Richtung auf den Hafen Karachi in keiner Weise mit der relativ reibungslosen Räumung des Irak durch die US Army vergleichen läßt. In Peshawar oder Quetta lauern ganz andere Gefahren als im unterwürfigen Emirat Kuweit. Schon befürchten viele Experten, daß die drohende Anarchie Afghanistans auf die Islamische Republik Pakistan und deren 180 Millionen Einwohner übergreift, daß dieses künstlich zusammengefügte Nachfolgegebilde des britischen Empires, das zudem über ein beachtliches Arsenal von Nuklearwaffen verfügt, auseinanderbrechen könnte. Der zur Zeit amtierende Staatspräsident Zardari, der Witwer der über die Maßen bewunderten Benazir Bhutto, steht unter so gravierender Anklage übelster Korruption, daß er jederzeit gestürzt werden könnte.
    Dann schlüge erneut die Stunde der Armee, die von Anfang an das Rückgrat des pakistanischen Staates gebildet hatte. Die Rückkehr zur Militärdiktatur würde von vielen als das geringere Übel betrachtet, zumal die Kontrolle der pakistanischen Atombombe von einer kleinen Gruppe hoher Offiziere im Umkreis des Generals Parvez Kaiany ausgeübt wird. Gemessen an den explosiven Kräften, die sich im pakistanischen Pundjab, in den Provinzen Sind und Balutschistan sowie in den nördlichen Stammesgebieten zusammenballen, erscheint die benachbarte Republik Iran, die sich krampfhaft um die Entwicklung einer atomaren Abschreckungswaffe bemüht, als historisch konsolidierter Staat und als relativ stabiles Gebilde.
    Eine Rückkehr der Taleban oder einer ähnlichen, wie auch immer gearteten radikalsunnitischen Bewegung in die Machtpositionen Kabuls würde die schiitische Bevölkerung Irans enger als bisher um ihre geistliche Führung scharen. Die Todfeindschaft zwischen den beiden großen Glaubensrichtungen des Islam

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