Die Welt aus den Fugen
Fall eine Zweifrontenkonfrontation leisten dürfe. So wie Josef Stalin â ungeachtet der damaligen Achse BerlinâTokio â im Zweiten Weltkrieg sich durch einen Nichtangriffspakt mit Japan den ostasiatischen Rücken freihielt, um seine sibirischen Divisionen in die Entscheidungsschlacht um Moskau zu werfen, haben Medwedew und Putin eine offizielle Freundschaftspolitik mit Peking eingeleitet, einen intensiven Handelsaustausch mit dem Reich der Mitte vereinbart und sogar im Pazifik wie am Südrand des Ural gemeinsame Manöver durchgeführt. Natürlich ist man sich im Kreml des chinesischen Ãbergewichts in Fernost bewuÃt und muà damit rechnen, daà im Lauf der kommenden Jahrzehnte die Dämme an den sibirischen Grenzflüssen brechen und eine unaufhaltsame Migration zahlloser Han-Chinesen in Richtung Westen einsetzen könnte.
Das Pekinger Politbüro hat sich bislang jeder chinesischen Siedlungsbewegung in den weitgehend entvölkerten Raum zwischen Pazifik und Baikalsee strikt widersetzt. Im ZhongÂnanhai weià man, wie vorteilhaft eine enge Partnerschaft mit RuÃland sich angesichts der amerikanischen Machtspiele und einer drohenden islamischen Unterwanderung für die eigene Absicherung auswirkt. Der beinahe freundschaftliche Umgang mit dem einst verpönten »Polarbären« erlaubt es der chinesischen Marine, im Südchinesischen Meer gegen alle Proteste aus Washington auf der zentralen Insel des Paracel-Archipels â obwohl die Fläche dieses Atolls sich mit den bescheiÂdenen AusmaÃen des New Yorker Central Parks vergleichen läÃt â Verwaltungsgebäude und vor allem eine vorgeschobene Militär- und Flottenbasis auszubauen.
Vergeblich hat die US-Diplomatie versucht, die russische AuÃenpolitik in ihre an eine Zwangsvorstellung grenzende Kampagne gegen die Islamische Republik Iran einzugliedern. Für Moskau stellt das Mullah-Regime von Teheran keine nennenswerte Gefahr dar. Seit die aserbaidschanische Republik von Baku, die überwiegend von Schiiten bevölkert ist, sich verselbständigt hat, leben nur noch sunnitische Muselmanen auf dem Boden der Russischen Union. Von dem schiitischen Regime des Iran, das sich der akuten Bedrohung durch die kuriose Assoziation von USA, Saudi-Arabien, Qatar und vor allem Israel ausgesetzt sieht, wird keine ruÃlandfeindliche Aktivität ausgehen. In Teheran hat man nicht vergessen, daà bis zur Eroberung Zentralasiens durch das Zarenreich gefangene Schiiten in den sunnitischen Emiraten Turkestans als Ketzer verfemt, als Sklaven verkauft oder sogar an die Holzpforten der Jurten genagelt wurden. Es besteht wirklich kein Grund für Wladimir Putin, an der Seite der USA und ihrer Trabanten gegen die Perser zu Felde zu ziehen.
Das Zögern der Ayatollahs
Es gehört zum Wesen der westlichen Medien, daà sie â meist mit unverzeihlicher Verspätung, dann aber mit maÃlosem Engagement und betrüblicher Ignoranz â die groÃen Themen und Krisen der Gegenwart aufgreifen, aufbauschen, mit pamphletärem Eifer anprangern und â sobald ein neues sensationelles Thema auftaucht â aus dem Gesichtsfeld verlieren. Die »breaking news« lösen einander ab. Ich möchte speziell auf den Irak verweisen, der die Gemüter jahrzehntelang erhitzt hatte und heute weitgehend ignoriert wird. Einer geschickt gesteuerten Verschleierung ist es gelungen, den Schicksalskampf Mesopotamiens als eine relativ gelungene Operation der amerikanischen Streitkräfte darzustellen, nachdem sich der Abzug der US Army aus dem Zweistromland ohne nennenswerte Zwischenfälle vollzog. In Wirklichkeit haben die USA in Bagdad einen katastrophalen Rückschlag erlitten.
Was ist denn geblieben von der groÃspurigen Ankündigung George W. Bushs, er wolle nach dem Sturz Saddam Husseins in Bagdad einen »beacon of democracy«, einen »Leuchtturm der Demokratie« errichten, und daraus würde sich in einem positiven Dominoprozeà auch für die übrigen Staaten des Orients der unaufhaltsame Drang nach Freiheit und westlicher Gesittung durchsetzen? Mag sein, daà George W. Bush, der der ideologisch-religiösen Tendenz der »Evangelikalen« naheÂsteht, tatsächlich an ein solches Wunder geglaubt hat. Aber das Gegenteil ist eingetreten. Der erste amerikanische Prokonsul in Bagdad, Paul Bremer, verordnete nach Auflösung von Baath-Partei und
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