Die Welt aus den Fugen
»Kollateralschäden« weit mehr angebliche El-Qaida-Terroristen zur Strecke bringen würde als sein Vorgänger George W. Bush, daà es ihm sogar gelingen würde, endlich Osama Bin Laden aufzustöbern und durch ein Kommando von US Seals exekutieren zu lassen?
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Der grüne Strand der Spree eignet sich nicht sonderlich für profunde historische Rückblicke. Die wenigsten wissen, daà die gesamte Region Deutschlands jenseits der Elbe bis ins hohe Mittelalter von slawischen, heidnischen Stämmen besiedelt war. Die gewaltsame Missionierung und Germanisierung dieser Völkerschaften fand erst statt, nachdem das Heilige Land den christlichen Kreuzfahrern entrissen wurde und die kriegerischen Mönche des Templer- und des Deutschen Ordens zu einem Kreuzzug in Osteuropa aufbrachen, der sie bis an die Ufer des Peipussees führte. Ein Blick auf das heutige StraÃenbild von Berlin, Paris oder London drängt den GedanÂken auf, daà wir uns in einer akuten Phase globaler Völkerwanderung befinden. Die modernen Verkehrsmittel erlauben eine weltumspannende Beweglichkeit, die in früheren Ja hrhunderten unvorstellbar war. Im übrigen sollten wir uns die groÃen Migrationen, die das Ende des Römischen Reiches besiegelten, nicht unbedingt als Massenansturm barbarischer Horden vorstellen. Es fand vor allem ein permanentes Einsickern kleiner Gruppen statt, die sich in die Strukturen des Imperium Romanum einfügten, sich als Soldaten oder als Landarbeiter verdingten, bis diese Neuankömmlinge sich stark genug fühlten, ihre eigenen Machtstrukturen zu errichten.
Wir hatten diese »Einführung« mit der Erwähnung der Mongolenschlacht von Liegnitz begonnen. So wie die mongolischen Steppenreiter Dschingis Khans im 13. Jahrhundert in Mitteleuropa einzufallen drohten, waren schon ein halbes Jahrtausend zuvor die muslimischen Sarazenen des Emir Abdul Rahman â aus dem Maghreb kommend â nach Gallien vorgedrungen. Dazu stellt der englische Historiker Edward Gibbon in seinem monumentalen Werk »Decline and Fall of the Roman Empire« eine faszinierende Hypothese auf: »In siegreichem Vormarsch waren die Muselmanen über Tausende von Meilen von dem Felsen von Gibraltar bis an die Loire gelangt. Mit der Bewältigung einer zusätzlichen vergleichbaren Entfernung hätten die Sarazenen bis an die Grenzen Polens und die Hochlande Schottlands vorrücken können. Der Rhein stellt kein gröÃeres Hindernis dar als der Nil oder der Euphrat, und eine arabische Flotte hätte â ohne eine Seeschlacht zu liefern â in die Mündung der Themse eindringen können. Vielleicht würde dann die Deutung des Korans in unseren Hochschulen von Oxford gelehrt, und von den Pulten der Korangelehrten würde einem beschnittenen Volk die Heiligkeit und die Wahrheit Mohammeds beigebracht.«
An der geballten Abwehrkraft der fränkischen Krieger des merowingischen Feldherrn Karl Martell und den Resten der gallo-romanischen Legionen ist im Jahr 732 der islamische Ansturm zerbrochen. Aus dem Geschlecht Karl Martells ist die legendäre Gestalt Karls des GroÃen hervorgegangen, der sich in Rom vom Papst zum Kaiser des Abendlandes krönen lieÃ. Um diese verlorene Einheit des Heiligen Römischen Reiches, das erst sehr viel später durch den Zusatz »Deutscher Nation« in seiner Bedeutung reduziert wurde, ins Gedächtnis zu rufen, hatten sich vor fünfzig Jahren Charles de Gaulle und Konrad Adenauer als bekennende Katholiken zum feierlichen Tedeum in Reims zusammengefunden. Es war immerhin ein Akt hoher symbolischer Bedeutung, als Angela Merkel und François Hollande sich in der Krönungskathedrale der französischen Könige von Reims trafen, um wiederum der Versöhnung der beiden Kernlande Europas zu gedenken. Mit Rücksicht auf den laizistischen Charakter der französischen Republik wurde statt des feierlichen Hochamtes der Ausklang der Johannespassion von Johann Sebastian Bach angestimmt. Ob die protestantische Kanzlerin ahnte, daà sie sich an der Stelle befand, wo einst die Jungfrau von Orléans in voller Rüstung der Krönung des von ihr geretteten Königs Karl VII. beiwohnte? War sich der Atheist Hollande bewuÃt, daà er an die Stelle jenes Monarchen getreten war, der sich des Heldentums der »pucelle« aus Domrémy so unwürdig erwies? Der Erzbischof von Reims lieà es sich nicht nehmen,
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