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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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halbes Dutzend Somali mit Gummilatschen an den Füßen, aber mit Kalaschnikow-Gewehren, werfen ihre Enterhaken aus und erklettern mit Hilfe von Strickleitern die hohe Bordwand. Die Piraten des Horns von Afrika sind weit entfernt von jenen romantischen Korsaren-Gestalten, die einst auf dem Atlantik und vor allem in der Karibik ihr Unwesen trieben. Aber sie arbeiten noch effizienter als ihre berühmten Vorläufer.
    Mehr als neunzig Schiffe sind von den somalischen Seeräubern im Laufe des vergangenen Jahres angegriffen worden. 39 von ihnen konnten sie kapern und beachtliche Lösegelder kassieren. Etwa fünfzehn Schiffe ankern zur Zeit vor armse­ligen Fischerdörfern an der somalischen Küste, in deren Hinterland jede staatliche Autorität zusammengebrochen ist. Bei diesen Beutezügen erregte vor allem ein ukrainischer Transporter Aufmerksamkeit, der 33 Panzer an Bord hatte. Die ­waren zweifellos für irgendeinen Kampfeinsatz im Dienste korrupter afrikanischer Potentaten und für deren skrupellose Hintermänner, die Bosse internationaler Rohstoffkonzerne, bestimmt.
    Noch spektakulärer war die Kaperung des saudischen Supertankers »Sirius Star«, bis zum Rand mit 300000 Tonnen Rohöl gefüllt. Ein Monstrum von mehr als 300 Meter Länge. Der räuberische Seekrieg hat sich bereits weit in den Indischen Ozean verlagert und schafft dort eine breite Zone der Unsicherheit.
    Für die »internationale Staatengemeinschaft«, wie sie sich pompös nennt, stellen diese Vorgänge eine Blamage ersten Ranges dar. Man hätte doch davon ausgehen müssen, daß die Fünfte amerikanische Flotte, die mit ihrem kolossalen Aufgebot, ihren riesigen Flugzeugträgern als Herrin der Meere auftritt, gegen solche Anfeindungen durch somalische Hungerleider gewappnet wäre. Aber die US Navy war seltsamerweise nicht zur Stelle. Vollends grotesk wirkt das Verhalten der deutschen Fregatten, die im Namen der Operation »Enduring Freedom« mit der Sicherung dieses Weges – immerhin passieren 16000 Schiffe pro Jahr die Meerenge des Bab-el-Mandeb – beauftragt sind. Eine absurde Gesetzgebung des Bundestages verbietet der deutschen Marine das aktive Eingreifen. Bislang durften die Matrosen lediglich zusehen, wie die Seeräuber ihre Beute an sich rissen, und den Zwischenfall an ihren Kommandostab melden. Demnächst sollen auch deutsche Kriegsschiffe eingreifen dürfen, müssen jedoch einen Polizisten an Bord haben, um die gefangenen Verbrecher zu verhören. Was dann mit den Piraten geschieht, bleibt ungewiß. Da es keine somalische Staatsautorität mehr gibt, können sie nicht ausgeliefert werden, und falls sie vor ein deutsches Gericht gestellt werden, fänden sie am Ende womöglich als Asylsuchende Unterschlupf in der Bundesrepublik.
    Seitdem dieser Skandal zum Himmel schreit, sinnen die NATO-Stäbe und auch die russische Admiralität auf Abhilfe. Durch eine beachtliche Flottenentfaltung müßte es den Seemächten möglich sein, die winzigen Motorboote der Korsaren rechtzeitig zu neutralisieren. In früheren Zeiten hätte man mit solchen Verbrechern kurzen Prozeß gemacht. Man hätte sie an der nächsten Rahe aufgehängt. In anderen Weltgegenden hat sich erwiesen, daß eine gut geplante Gegenaktion, wie sie gegen das Piratenunwesen in der Straße von Malakka durchgeführt wurde, zu einer drastischen Verringerung der Zwischenfälle führt.
    In Somalia hat sich die westliche Allianz im Jahr 1993 schon einmal eine blutige Nase geholt und einen schmählichen Rückzug angetreten. In dem Chaos, das zwischen Mogadischu und Berbera vorherrscht, hatte das Pentagon vergeblich versucht, mit Hilfe von Invasionstruppen ein Minimum an Stabilität herzustellen. Angesichts der Auswüchse der Piraterie stellt sich die Frage, was wohl geschehen würde, wenn die USA sich zum Angriff und zur Bombardierung der Islamischen Republik Iran entschlossen hätten. Die den Fischern Somalias weit überlegenen Revolutionswächter, die Pasdaran, verfügen über perfektionierte Schnellboote und ein hochentwickeltes Sprengarsenal. Die Riesentanker, die durch das Nadelöhr von Hormus müssen, würden sich als extrem verwundbar erweisen. Die zur Selbstaufopferung entschlossenen »Gotteskrieger« des Präsidenten Ahmadinejad könnten eine für den Westen verhängnisvolle Seeblockade verhängen und sogar

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