Die Welt aus den Fugen
biblisch anmutenden Richtergestalt, die die übrige Welt in Erstaunen versetzte. Der Nachfolger des Gründers der Islamischen Republik, Ali Khamenei, hat seine Machtposition systematisch ausgebaut, und es ist nicht ausgeschlossen, daà er bis zu seinem Tod im Amt bleibt. Danach würde jedoch mit Sicherheit der Diadochenkampf ausbrechen. Immer wieder ist angesichts der Massenkundgebungen zugunsten des geschlagenen Kandidaten Mir Hussein Mussawi, der weiterhin die Wahlergebnisse als grobe Fälschung brandmarkt, darauf verwiesen worden, daà sechzig Prozent der iranischen Bevölkerung jünger als dreiÃig Jahre sind. Das trifft zu, wenn man auf die Masse der Protestler blickt, die allerdings â dem äuÃeren Anschein nach â den gehobenen Gesellschaftsschichten oder zumindest dem mittleren Bürgertum angehören. Bemerkenswert ist dabei die hohe Zahl energischer junger Frauen. Bei dieser Gelegenheit muÃte das Ausland zur Kenntnis nehmen, daà die Theokratie, die das Tragen des Hijab, des Schleiers, zur Pflicht für alle gemacht hat, die weibliche Jugend weder aus der Politik noch aus den Universitäten ausgeschlossen hat. Die Studentinnen bilden an den Hochschulen mit sechzig Prozent die Mehrheit, und im Parlament, in den Madjlis, gibt es mehr als eine streitbare Abgeordnete.
Auf der anderen Seite sind jene Rowdys aufgefallen, die â in Zivil gekleidet â auf Motorrädern durch die Kundgebungen sausten und auf die Protestierenden einschlugen. Hier handelte es sich um die sogenannten Bassidji, ein Aufgebot islamischer Milizionäre, die angeblich an die Tradition ihrer heroischen Väter anknüpfen möchten. Wie zahlreich die heutigen Bassidji sind, die erst noch beweisen müssen, daà sie über den Mut ihrer Vorbilder verfügen, wissen wir nicht genau. Es sind aber mindestens drei Millionen, und sie sind über das ganze Land verstreut. Gemeinsam mit den Familien von etwa einer Million gefallener Gotteskrieger, die im endlosen Abwehrkampf gegen Saddam Hussein seinerzeit in den Giftschwaden erstickten, die der Westen den Irakern geliefert hatte, gibt es also eine andere junge Bevölkerungsschicht aus den ärmlichen und ländlichen Kreisen, die es durchaus mit den privilegierten Demonstranten von Teheran aufnehmen will. Als Ultima ratio bliebe dem Regime noch der Einsatz der fanatischen EliteÂtruppen, der Pasdaran, deren Verhältnis zur regulären Armee gelegentlich mit dem der Waffen-SS zur deutschen Wehrmacht verglichen wird.
Im Gegensatz zu den voreiligen Europäern hat US-Präsident Obama sich bemüht, in keiner Weise als Komplize der streitbaren Reformer aufzutreten und sie dadurch zu diskreditieren. In Washington übt man sich neuerdings in Realpolitik. Man weiÃ, daà ein Abgleiten Irans ins Chaos und in die Anarchie jede Befriedung der benachbarten Krisenherde Irak und Afghanistan unmöglich machen würde. Was nun den Bau einer iranischen Atombombe betrifft, so wäre dieser vermutlich auch unter einem Präsidenten Mussawi weiterbetrieben worden, und wer möchte â angesichts des Staatsverfalls in Pakistan, das bereits über Nuklearwaffen verfügt â sich noch auf ein zusätzliches militärisches Abenteuer einlassen?
Clintons Besuch beim »lieben Führer«
10. 08. 2009
Es lohnt sich also doch, eine Atombombe zu besitzen. Man kann sich ausmalen, wie Amerika mit Nordkorea und seinem Staatschef Kim Jong Il umgesprungen wäre, wenn er den Drohungen und Einschüchterungen seiner Gegner lediglich seine unsinnig aufgeblähte, mit konventionellen Waffen erbärmlich ausgerüstete Armee entgegensetzen könnte. Bestimmt hätte sich nicht eine so hochrangige Persönlichkeit wie der ehemalige Präsident der USA, Bill Clinton, auf den Weg nach Pjöngjang gemacht. Die Befreiung von zwei US-Journalistinnen, die zu zwölf Jahren Arbeitslager verurteilt waren und mit Clinton den Heimflug antreten durften, wird kaum mehr als ein Vorwand gewesen sein, irgendeine Form von Modus vivendi mit dem unberechenbarsten aller »Schurkenstaaten«, wie George W. Bush zu sagen pflegte, auszuhandeln.
Illusionen sind nicht angebracht. Es müssen zwingende Gründe vorgelegen haben, um Präsident Obama und seine AuÃenministerin Hillary Clinton zu bewegen, einen so hohen Emissär auf diese Reise zu schicken, die manchen Kritikern in Südkorea und Japan wie ein
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