Die Welt aus den Fugen
des GroÃen Marsches damals einen Waffenerfolg vor. In Wirklichkeit hatte jetzt Deng ein zwingendes Argument, den Totalumbau und die Modernisierung der Streitkräfte durchzusetzen. Die militärischen Geheimnisse Chinas sind wohlgehütet, und die Manöver, die gelegentlich ausländischen Beobachtern vorgeführt werden, geben mit Sicherheit nicht den realen Stand der technischen Aufrüstung wieder.
Die Flotte der Ming-Dynastie
Das Pentagon blickt mit Sorge auf die militärische Erstarkung Chinas und läÃt demonstrativ das gewaltige Flottenaufgebot der US Navy im Westpazifik und im Südchinesischen Meer kreuzen. Die Admiralität der USA beobachtet vor allem den Ausbau der chinesischen Kriegsmarine. Lange hatte man die maritimen Ambitionen Pekings gering eingeschätzt. Aber ein Blick in die Geschichte lehrt, welch für jene Zeit ungeheuerÂliches Flottenaufgebot das Reich der Mitte im 14. Jahrhundert unter der Ming-Dynastie aufzubieten vermochte. Diese Armada kreuzte entlang der indischen und afrikanischen Küsten, transportierte 28000 Krieger und wäre den Karavellen der Portugiesen und Spanier weit überlegen gewesen. Heute wird die Erinnerung an den Admiral dieser Monsterflotte, den Eunuchen Zheng He, in ganz China hochgeehrt. Der Verzicht eines törichten Kaisers der Ming-Dynastie, der vor jedem überseeischen Abenteuer zurückschreckte und die eigene Flotte vernichten lieÃ, wird als nationales Unglück empfunden.
Die ungeheure Dynamik Chinas, seine kommerzielle Präsenz, ja Dominanz in allen Erdteilen, die ungezügelten Ambitionen dieser gigantischen Nation geben der übrigen Welt manches Rätsel auf. Da das Land keine Religion mehr anerkennt und der Buddhismus nur als Aberglaube des Volkes geduldet ist, richten sich die fragenden Blicke auf die Vollversammlungen der kommunistischen Partei, in deren höchsten Gremien alle Entscheidungen getroffen werden. Von einer Wiederbelebung des Konfuzianismus kann nicht die Rede sein, obwohl die Lehre von der Harmonie, die Meister Kong hinterlieÃ, von den roten Mandarinen in Peking als eigene politische Richtschnur der Streitkultur den westlichen Demokratien entgegensetzt wird.
Wie weit sind wir doch von den wütenden Exzessen der Kulturrevolution entfernt, als die jungen Rotgardisten unter dem Ruf »Pi Lin, Pi Kong« den Konfuzianismus für den Niedergang Chinas verantwortlich machten. Was die Chinesen aller Schichten zu einen scheint, ist das Gefühl der eigenen Ãberlegenheit und ein unbändiger Nationalismus, der auf die Ursprünge des Reiches der Mitte zurückgeht.
Keinem Kaiser wird in der Geschichtsdeutung so groÃer Respekt gezollt, keinem werden so viele historische Filme gewidmet wie dem Gründungskaiser Qin Shi Huangdi. Er lebte etwa 200 Jahre vor Christus, und auf ihn berief sich auch Mao Zedong in seinen Gewaltakten. Seine unbezwingbaren Kriegerscharen unterwarfen binnen kürzester Frist die widerstreitenden Königreiche. Er schuf die kulturelle Geschlossenheit Chinas nicht durch die Vereinheitlichung der Sprache, sondern durch die Einheitlichkeit der Schrift. Er lieà jene gewaltige Mauer bauen, die sein kolossales Imperium gegen den Ansturm der Nomadenhorden Zentralasiens abschirmen sollte. Er wachte darüber, daà man der Person des Kaisers nur mit dem kniefälligen Kotau begegnete.
Wer hätte vor dreiÃig Jahren geahnt, daà Shanghai heute im Begriff steht, New York zu überflügeln? Wer hätte sich vorstellen können, daà die USA gegenüber Peking in die Rolle des Schuldners gerieten? Aus der Höhe der monströsen Hochbauten, die in Pudong, einem Stadtteil Shanghais, entstehen, der dem Meer entrissen wurde, erscheinen die Trutzburgen des ehemals europäischen Kolonialismus, die einst am Bund, am Ufer des Huangpu-Flusses, die Ãberlegenheit des Westens demonstrierten, wie winziges Spielzeug.
Der symbolische SchluÃakt europäischer Weltgeltung wurde an jenem regnerischen Tag des Jahres 1997 vollzogen, als in einer ergreifenden Zeremonie GroÃbritannien Abschied nahm von seinem fernöstlichen Kronjuwel Hongkong, als der Union Jack eingeholt wurde und die rote Flagge der Volksrepublik gehiÃt wurde. Einhundert Jahre zuvor war das britische Empire noch in weltweiter Expansion begriffen und wirkte unerschütterlich. Aber so rasant vollzieht sich der globale Wandel, daà die Hymne, die die britische Seemacht
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