Die Welt aus den Fugen
glorifizierte, seitdem nur mit einem Unterton von Nostalgie angestimmt werden kann.
Ohnmacht und AnmaÃung
Als Schlachtfeld der Zukunft hatten wir lange vor dem Anschlag auf das World Trade Center die weitgehend unbekannten Regionen Zentralasiens bezeichnet. Seitdem hat das Ende der Sowjetunion völlig neue Strukturen und auch Gefahren verursacht. Das Scheitern Amerikas in zwei Regionalkonflikten hat die Welt verblüfft. Ein Aufbruch ins Ungewisse findet statt.
Als der kasachische Präsident Nursultan Naserbajew seine Hauptstadt aus Almaty im lieblichen Südosten in die trostlose Steppe verlagerte, haben das viele als Zeichen asiatischer Despotie und Willkür gedeutet. Die kolossalen, prätentiösen Bauten, die dort entstanden sind, legen den Vergleich mit den architektonischen Extravaganzen der Golf-Emirate nahe. Aber in Astana könnte sich das Zentrum einer neuen asiatischen Macht abzeichnen. Die ursprüngliche Hauptstadt Almaty lag für die Ambitionen Naserbajews wohl zu nahe an der chinesischen Grenze. Hier sollte auch gegenüber RuÃland ein Zeichen kasachischer Souveränität gesetzt werden.
Eine bescheidene orthodoxe Kirche steht als Symbol für die geschwundene russische Präsenz. Die slawische Bevölkerung hatte durch die systematische Besiedlungspolitik der Zaren und vor allem die Neulandgewinnung Nikita Chruschtschows fast fünfzig Prozent der dortigen Bevölkerung ausgemacht. Heute ist eine Vielzahl der russischen und ukrainischen Pioniere wieder in ihre Heimatländer abgewandert. Verlassene Dörfer geben Kunde von diesem Exodus. Den Gesichtern der orthodoxen Gläubigen sieht man diese stillschweigende Verdrängung an.
Zur gleichen Zeit veranstaltet Naserbajew, der frühere Sekretär der kommunistischen Partei, Triumphfeiern zum elften Gründungstag der Hauptstadt Astana. Aus dem hohen Funktionär der KPdSU ist ein Emir und Sultan orientalischen Stils geworden, der gleichzeitig mit groÃem Aufwand seinen Geburtstag feiern läÃt. Für die Nationalfahne seines nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegründeten riesigen Steppenstaates hat er die blaue Standarte des mongolischen Eroberers Dschingis Khan gewählt. In den Gesichtern seiner Gardesoldaten spiegelt sich die Härte jener asiatischen Horden, die fast drei Jahrhunderte lang das europäische RuÃland beherrscht hatten. Wer kann es den Untertanen Wladimir Putins verdenken, wenn das Trauma des Tatarenjochs im UnterbewuÃtsein weiterlebt? Und man sich daran erinnert, wie der Khan der Goldenen Horde, der sich zum Islam bekehrt hatte, die russischen Fürsten zu seinen Vasallen erniedrigt hatte.
Was wäre Kasachstan ohne seinen immensen Reichtum an Erdöl und Erdgas? Der Wüstenzone am Kaspischen Meer merkt man kaum an, welche politischen und wirtschaftlichen Spannungen sich anstauen. Moskau versucht natürlich, seinen Vorrang zu bewahren. Amerika wirkt auf Naserbajew ein, damit er seine Pipelines nach Westen ausrichtet. Inzwischen wurde jedoch auch eine Rohrverbindung gebaut, die durch die endlose Ãde Kasachstans die Volksrepublik China mit diesen unentbehrlichen Rohstoffen beliefert. Ein letzter Eindruck am Rande: Im Zentrum dieses gewaltigen Erdölreservats erhebt sich eine bescheidene Moschee, deren Imam seine religiöse Ausrichtung im afghanischen Kundus erhalten hat. So weit reichen die zentralasiatischen Querverbindungen. Das gilt auch für Kirgistan.
In diesem Winkel Kirgistans, nahe der Stadt Osch, sind wir nur ein paar hundert Meter entfernt von China, von der Westprovinz Xingjiang. Und man mag das in der übrigen Welt Âglauben oder nicht: Hier ist ein gewaltiges geostrategisches Spiel wieder in Gang gekommen. »The great game«, hatte einst Kipling gesagt. Aber die Partner und Kontrahenten sind ganz andere. GroÃbritannien ist zu einem Vasallen der USA geworden. Und RuÃland hat sich weit nach Norden zurückgezogen, nach Westsibirien bis auf den Ural, und kann sich glücklich schätzen, wenn die früheren Sowjetrepubliken Zentralasiens einen Damm bilden gegen das Vordringen des militanten ÂIslamismus. Was Amerika nun betrifft: Petroleum hin, PeÂtroleum her, man ist dort angewiesen auf die Nachschubwege durch die GUS-Staaten und durch RuÃland für den Einsatz in Afghanistan, und das wird seine Folgen haben. Und schlieÃlich, das mag man in Europa gerne hören oder nicht: Der wirkliche Hegemonialraum
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