Die Welt der Drachen
Wunsch, davonzulaufen. Sie warf noch einen Blick in den Spiegel, streckte die Schultern und hob entschlossen das Kinn; ihr Haar knisterte bei der plötzlichen Bewegung. Sie war Lessa von Ruatha. In ihren Adern floß adeliges Blut. Sie musste sich nicht mehr vor der Welt verbergen. Sie konnte jedermann stolz gegenübertreten - auch diesem Drachenreiter!
Ruhig schob sie den Vorhang zur Felskammer beiseite. Er stand neben dem Drachen und strich ihm über die Augenwülste. Seine Züge wirkten sonderbar zärtlich. Es war ein Bild, das völlig im Widerspruch zu allem stand, was sie bisher von den Drachenreitern gehört hatte.
Sie wusste natürlich von der engen Beziehung zwischen Tier und Reiter, aber sie hatte nicht geahnt, dass dabei Zuneigung eine Rolle spielte. Überhaupt hatte sie diesem finsteren, kühlen Mann keine tieferen Gefühle zugetraut. Sie erinnerte sich noch zu gut an seine schroffe Haltung, als sie sich von dem alten Wachwher verabschieden wollte. Kein Wunder, dass das Tier geglaubt hatte, ihr stoße etwas zu.
Der Mann drehte sich langsam um, als würde er sich nur ungern von seinem Drachen trennen. Dann, als er sie erblickte, stand er auf und trat mit ein paar raschen Schritten neben sie.
Er fasste sie mit starker Hand am Ellbogen und führte sie zurück ins Schlafgemach.
»Mnementh hat wenig gefressen und braucht Ruhe«, sagte er leise, als sei das seine wichtigste Überlegung. Er schob den schweren Vorhang zu.
Dann hielt er sie mit gestreckten Armen von sich und betrachtete sie genau. Ein erstaunter Ausdruck huschte über seine Züge.
»Gewaschen sehen Sie... recht hübsch aus«, sagte er in einem Tonfall amüsierter Herablassung.
Sie machte sich brüsk von ihm frei.
»Wer hätte aber auch ahnen können, was sich unter dem Schmutz von zehn Planetendrehungen verbarg! Ja, Sie sind so hübsch, dass F'nor versöhnt sein wird.«
Erbost über seine Haltung, fragte sie eisig: »Und es ist so wichtig, dass dieser F'nor versöhnt wird?«
Er grinste sie an, bis sie die Fäuste in die Hüften stemmte, um nicht auf ihn einzuschlagen.
Schließlich sagte er: »Aber lassen wir das jetzt. Wir müssen essen, und ich benötige Ihre Dienste.«
Als er ihren verwirrten Ausdruck bemerkte, drehte er sich um und deutete auf die Blutkruste an seiner linken Schulter.
»Ich kann doch verlangen, dass Sie die Wunden behandeln, die ich im Kampf um Ihre Sache erhielt.«
Er schob einen Gobelin zur Seite, der an der Innenwand hing. »Essen für zwei!« brüllte er in den schwarzen Schlitz, der dahinter zum Vorschein kam.
Das Echo hallte wie aus einem tiefen Schacht wider.
»Nemorth liegt im Sterben«, erklärte er, während er einen anderen Wandbehang hob und Verbandszeug aus einer verborgenen Nische holte.
»Und die Jungen können jeden Moment ausschlüpfen.«
Ein eiskaltes Gefühl durchzuckte Lessa. Sie kannte die Drachenlegenden, und die makabren Szenen der Gegenüberstellung hatten sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben. Stumm nahm sie die Dinge, die er ihr reichte.
»Haben Sie etwa Angst?« fragte der Drachenreiter spöttisch, während er das zerrissene, Blutverkrustete Hemd auszog.
Lessa schüttelte den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit seinen muskulösen Schultern zu. Die Wunde war wieder auf gebrochen. Ein dünner Blutstreifen rieselte dem Drachenreiter über den Rücken.
»Ich brauche Wasser«, sagte sie und entdeckte im gleichen Augenblick eine flache Pfanne neben den Verbandsutensilien.
Sie ging damit zur Quelle.
Unterwegs überlegte sie, weshalb sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte. Ruatha war eine Ruine, gewiss, aber sie kannte jeden Winkel vom Wachturm bis zu den Kellergewölben. Als der Drachenreiter ihr nach dem Tod von Fax vorgeschlagen hatte, in den Weyr zu ziehen, hatte sie sich stark genug gefühlt, jede Gefahr zu meistern. Doch jetzt zitterten ihre Hände so, dass sie kaum die Pfanne festhalten konnte.
Sie konzentrierte sich auf die Wunde. Es war ein hässlicher Schnitt, der sehr tief ging. Die Haut des Drachenreiters fühlte sich glatt unter ihren Fingern an. Er zuckte nicht zusammen, als sie das getrocknete Blut aus der Wunde wusch, und Lessa war wütend über sich selbst, dass sie ihn nicht mit der Grobheit behandelte, die ihm gebührte.
Mit zusammengebissenen Zähnen strich sie eine dicke Schicht Heilsalbe über den Schnitt. Dann riss sie ein paar Tücher zu Streifen und befestigte damit den Verband. Der Drachenreiter bewegte vorsichtig den Arm. Als er sich umdrehte
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