Die Welt der Drachen
deren Schalen bereits gesprungen waren. Etwas abseits, auf einer Bodenerhebung, lag das goldene Ei der Königin. Es war größer als alle anderen. Und neben dem goldenen Ei erkannte sie die reglose Gestalt der alten Königin.
Mnementh hielt an, und Lessa spürte, wie der Drachenreiter ihre Taille umfasste und sie absetzte.
Ängstlich klammerte sie sich an ihm fest. Er schob sie unerbittlich von sich. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, »Denken Sie an meine Worte, Lessa!«
Mnementh richtete eines seiner großen Facettenaugen auf sie und sandte ihr einen tröstenden Gedanken. Dann erhob er sich und flog zum untersten Felsvorsprung, wo er ein Stück entfernt von den beiden anderen Bronzedrachen landete. Lessa sah ihm hilflos nach. Der Reiter stieg ab, und das Tier streckte den biegsamen Hals, bis sein Kopf dicht neben dem Mann war.
Lautes Schluchzen und Schreien lenkte Lessas Aufmerksamkeit ab. Noch mehr Drachen waren gelandet und hatten weiß gekleidete Mädchen abgesetzt. Insgesamt zählte sie zwölf. Sie drängten sich aneinander und wimmerten vor Angst.
Lessa beobachtete sie neugierig. Weshalb weinten sie? Sie schienen keine Schmerzen zu haben. Verächtlich schüttelte sie den Kopf. Eine Ruatha würde ihre Furcht niemals in dieser Weise zeigen!
In diesem Augenblick begann das goldene Ei zu schaukeln.
Mit Gezeter zogen sich die Mädchen bis an die Felswand zurück. Eine von ihnen, ein schönes Geschöpf mit schweren blonden Flechten, blieb neben der Bodenerhöhung stehen.
Doch dann stieß sie einen durchdringenden Schrei aus und floh zu ihren Gefährtinnen.
Lessa wirbelte herum. Einen Moment lang stockte auch ihr der Atem.
Ein Stück von dem goldenen Ei entfernt waren mehrere der gesprenkelten Dracheneier aufgebrochen. Mit dünnen Schreien arbeiteten sich die Jungtiere ins Freie und bewegten sich auf eine Schar von halbwüchsigen Jungen zu, die einen Halbkreis um das Gelege bildeten.
Das Kreischen der Frauen ging in ein unterdrücktes Schluchzen über, als einer der kleinen Drachen mit scharfen Klauen auf einen Jungen einhieb.
Lessa zwang sich, die Szene zu beobachten. Der Drache stieß den Jungen zur Seite, als sei er von ihm enttäuscht. Der Junge rührte sich nicht. Lessa sah, dass er aus mehreren Wunden blutete.
Ein zweiter Drache stolperte auf einen Jungen zu. Er schüttelte hilflos die feuchten Flügel und reckte den dünnen Hals. Dazu stieß er ein ermutigendes Summen aus, wie sie es schon bei Mnementh gehört hatte. Der Junge hob unsicher die Hand und strich dem kleinen Drachen über die Augenwülste.
Das Summen wurde immer weicher. Schließlich senkte das Tier den Kopf und stupste den Jungen damit an. Das Kind lachte über das ganze Gesicht.
Lessa sah, wie die nächsten Drachen ihre engen Gefängnisse durchbrachen. Einer warf einen Jungen zu Boden und trat über ihn hinweg, ohne darauf zu achten, dass er mit seinen scharfen Klauen die Haut aufriss. Der zweite Drache blieb neben dem Kind stehen und summte eifrig. Mühsam richtete sich der Kleine auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann redete er liebevoll auf den Drachen ein.
Es war rasch vorbei. Die ausgeschlüpften Drachen sonderten sich mit den Jungen ab, die sie als Gefährten gewählt hatten.
Blaue Reiter landeten auf dem Boden der Höhle und brachten die Kinder weg, die übrig geblieben waren.
Lessa wandte sich entschlossen dem goldenen Ei zu. Sie wusste nun, was sie zu erwarten hatte, und sie überlegte, nach welchen Gesichtspunkten die Drachen wohl ihre Auswahl getroffen hatten.
Ein Riss zeigte sich in der goldenen Schale, und von neuem stießen die Mädchen angstvolle Schreie aus. Einige hatten sich zu Boden geworfen, andere umklammerten einander. Der Riss wurde breiter, und ein kräftiger, keilförmiger Kopf arbeitete sich ins Freie. Es folgte der golden schimmernde Hals. Lessa fragte sich, wie lange es dauern mochte, bis das Tier ausgewachsen war. Bereits jetzt überragte es die Männchen des gleichen Geleges.
Ein lautes Summen drang an ihr Ohr. Sie hob den Kopf und erkannte, dass die Bronzedrachen die Geburt ihrer Königin, ihrer Paarungsgefährtin mitverfolgten. Das Summen verstärkte sich, als das Ei zerschellte und der goldene, feuchtglänzende Körper des Drachenweibchens auftauchte. Es schwankte ins Freie und hieb mit dem scharfen Schnabel in den Sand. Die nassen Flügel flatterten ungeschickt.
Doch dann rannte das Tier mit verblüffender Schnelligkeit auf die angsterstarrten Mädchen zu. Bevor Lessa
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