Die Welt der Kelten
Jahren zu absolvieren und war strengstens organisiert.
Dem erreichten Grad entsprechend durfte ein Fili nur in einem vorgeschriebenen Versmaß dichten, was Einfluss auf sein Dichterhonorar
hatte, das bis zu zehn Kühe betragen konnte. Aber diese Poeten schufen nicht nur eigene Gedichte, sie bewahrten auch vorchristliche
Geschichten, von denen sie mehrere hundert aus dem Gedächtnis vortragen konnten. Dichterschulen, die sich dieser Tradition
verpflichtet fühlten, gab es in Irland wohl noch während des gesamten Mittelalters.
|191| Außerdem wurden in den Klöstern zunehmend Erzählungen auf Pergament niedergeschrieben und so vor dem Vergessen bewahrt, darunter
vor allem die Götter- und Heldensagen, die das vorchristliche Irland mit seiner keltischen Kultur widerspiegeln. Was fromme
Mönche und andere im Mittelalter aufschrieben, ist vielfach zensiert und von offensichtlich Heidnischem gesäubert worden.
Trotzdem bewahren diese Handschriften einen wertvollen Schatz keltischer Dichtungen, von denen manche auf ein hohes Alter
zurückblicken können.
|189| Halloween und das keltische Jahr
In den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts breitete sich in vielen Ländern Europas Halloween aus – ein Brauch,der
von den einen als typische amerikanische Mode geschmäht und von den anderen als altes heidnisch-keltisches Fest verehrt wird.
Jedenfalls machen sich in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November zwischen Frankreich, Norditalien, Deutschland und
den Britischen Inseln immer mehr Kinder auf denWeg, um an Haustüren zu klingeln und Süßigkeiten zu fordern. Sie unterstreichen
dies mit dem englischen Spruch
Trick or treat
– zu Deutsch etwa »Streich oder Belohnung« –, an dessen Stelle in Deutschland zunehmend »Süßes, sonst gibt’s Saures!« getreten
ist. Für diesen so genannten Heischegang ist eine passendeVerkleidung unverzichtbar: als Hexe oderVogelscheuche, als wandelnder
Leichnam oder Horrorgestalt aus Film und Buch. Darüber hinaus finden mittlerweile auch unter jüngeren und älteren derart kostümierten
Erwachsenen Partys statt, die allesamt den ausgehöhlten Kürbis zu ihrem Symbol erkoren haben, hinter dessen schauriger Fratze
eine Kerze brennt. Auf dieseArt undWeise hat sich in jüngster Zeit ein äußerst lebendiges Gruselfest etabliert, das sich zunehmender
Beliebtheit erfreut.
Was dieses schaurigeTreiben mit den Kelten zu tun hat, ist durchaus umstritten. Das Wort selbst ist aus dem englischen
All hallow’s Eve
respektive
Evening
entstanden, |190| womit man den Abend vor Allerheiligen bezeichnet. Diesem Fest der christlichen Märtyrer und Heiligen sollte nach dem Volksglauben
eine Nacht vorausgehen, in der die Seelen der Verstorbenen und diverse Spukgestalten wie Geister und Dämonen das Jenseits
verlassen und in der Menschenwelt umgehen. In den USA entwickelten sich daraus die allseits populären Partys und Umzüge, bei
denen auch ein Schabernack nicht fehlen durfte. In der Verbindung mit Kommerz und Hollywood-Filmen wurde Halloween in der
Tat zu einem amerikanischen Brauch.
Ursprünglich pflegte man ihn in Irland, Schottland und Wales, bis er in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit irischen Einwanderern
nach Nordamerika gelangte. In seinen keltischen Heimatgebieten kannte dasVolk schon lange vorher eineVielzahl von Sagen, Geschichten
und Bräuchen um jene Nacht, in der die Pforten der Anderwelt oder Hölle sich öffneten.Damit waren auch dort öffentlicheAktivitäten
verbunden: So entzündete man in Irland große Feuer, mit denen die bösen Geister vertrieben werden sollten. In Schottland verkleideten
sich junge Männer als schaurige Gestalten, um für Angst und Schrecken zu sorgen. Die Waliser glaubten von Halloween, dass
in dieser Nacht auf jedem Zaun ein Gespenst sitze. In Irland hielt man für die vorübergehend heimkehrenden Seelen der Verstorbenen
die Türen geöffnet und deckte für sie denTisch. Außerhalb des Hauses war es ohnehin nicht geheuer;deshalb mied man die Friedhöfe
und drehte sich nicht um, wenn man |191| in der Dunkelheit Schritte hinter sich hörte – sie hätten von einem Gespenst kommen können.
Wie fließend in dieser Nacht die Grenzen zwischen Leben und Tod geworden sind, verdeutlicht die Sage von Jack-o-Lantern, womit
in den USA der Halloween-Kürbis bezeichnet wird. Jedoch stammt auch diese Gestalt von den Britischen Inseln. Dort erzählte
man sich die Geschichte von dem stets betrunkenen
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