Die Welt der Kelten
sondern sie suchen diese eigentümliche |68| Naturfarbe auch noch durch künstliche Mittel zu verstärken. Sie reiben nämlich die Haare dauernd mit Kalkwasser ein und streichen
es von der Stirn zum Scheitel und Nacken hin zurück, sodass ihr Aussehen Satyrn und Panen ähnlich erscheint. Die Haare werden
nämlich von dieser Behandlung so dick, dass sie sich gar nicht von einer Pferdemähne unterscheiden. Den Bart scheren einige
ab, andere lassen ihn mittellang wachsen. Die Adligen rasieren die Backen glatt, den Schnurrbart lassen sie aber lang hängen,
sodass ihr Mund dadurch bedeckt wird. Daher verwickeln sie sich mit ihrem Bart beim Essen in den Speisen, und beim Trinken
wird das Getränk gleichsam durchgeseiht. Sie essen alle sitzend, nicht auf Stühlen, sondern auf der Erde, wobei sie als Unterlage
Wolfs- und Hundefelle nehmen. Bedienen lassen sie sich von den Jungen und Mädchen, die gerade das Alter der Reife erreicht
haben. In ihrer Nähe stehen Herde, in denen Feuer brennt; darauf befinden sich Kessel und Bratspieße voller Fleisch in ganzen
Gliedern. Die tapferen Männer zeichnen sie mit den besten Fleischstücken aus … Sie laden auch die Fremden zu ihren Festmählern,
und nach der Mahlzeit fragen sie, wer sie sind und welches Anliegen sie haben. Bei der Mahlzeit geraten sie auch häufig aus
unbedeutendem Anlass in einen Wortwechsel und fordern einander zum Zweikampf heraus, da sie sich aus dem Verlust des Lebens
nichts machen.«
Bibracte, das Hauptoppidum der Haeduer, imponierte Besuchern mit diesem monumentalen Zangentor. Inmitten Burgunds stellte
die Keltenstadt auf dem über 800 Meter hohen Mont Beuvray ein Zentrum Galliens dar.
Diese anscheinend leicht erregbaren und aufbrausenden Burschen tranken |69| gern Bier und Met, schätzten aber Wein über alle Maßen. Da dessen Anbau im Keltenland unbekannt war, nutzten griechische wie
italische Kaufleute die barbarischen Vorlieben seit langem für lukrative Geschäfte. Sie brachten das begehrte Getränk über
die vielen schiffbaren Flüsse und auf Landwegen mit Wagen ins Innere Galliens, wo dessen Bewohner laut Diodor den Wein unvermischt
in sich hineingossen: Aus Gier sprachen sie dem Trank so lange zu, bis sie in Schlaf oder gar in einen Zustand des Deliriums
fielen. Den Händlern brachte eben jene Gier unglaublich hohen Gewinn; immerhin bekamen sie für einen Krug Wein einen Sklaven.
Derartige Schilderungen antiker Autoren sind mit Vorsicht zu genießen. Denn stets sahen sie die Kelten und andere Völker aus
der Sicht ihrer Kultur, die sie für weit überlegen und zivilisierter hielten. Darum ist die Schilderung gallischer Gelage
zwar nicht unglaubwürdig, gibt aber allenfalls Szenen aus dem Leben der Oberschicht wieder. Diese stellte der Stammesadel,
dessen Angehörige auf eine ehrwürdige Ahnenreihe zurückblickten oder in jüngerer Zeit wie oben erwähnt die Macht an sich gerissen
hatten. Der gallische Aristokrat zeichnete sich zuerst durch seinen Kriegerstolz aus. Reichtum gewann er durch die Kontrolle
über ein Oppidum oder zumindest über eine Fürstenburg und Landbesitz. Seine Macht offenbarte sich in der Größe seiner Gefolgschaft
an Kämpfern und in der Masse der Menschen, die von ihm abhängig waren oder ihm gar als Sklaven gehörten. Nur ein Adliger konnte
sich aufwändige Weingelage leisten; auf ihnen mag mancher sich dem Trunk hemmungslos ergeben und darüber hinaus mit seinen
Taten geprahlt haben. Dabei spielten zweifelsohne Köpfe eine hervorragende Rolle, denn die Kelten waren als Jäger dieser Trophäen
ihrer Feinde weit und breit gefürchtet. Sie waren stets kampfbereit und schreckten auch vor Überfällen auf benachbarte Stämme
nicht zurück. Trotzdem herrschte in Gallien kein ständiger Kampf aller gegen alle; denn in den einzelnen Stämmen bestimmten
die Versammlungen der Ältesten respektive der Adligen die Politik. Manche Gemeinschaften hatten einen oder zwei Könige an
ihrer Spitze, andere wählten einen führenden obersten Beamten.
Neben der Aristokratie bildeten die Druiden die zweite mächtige und tonangebende Gruppe. Die geheimnisumwitterten Weisen,
auf die weiter unten ausführlich eingegangen wird, beherrschten große Teile des Stammeslebens. Ihnen oblag nicht nur das Opferwesen,
sie galten auch als Rechtspfleger und Richter, hüteten die Stammestraditionen und verfügten über immense Wissensschätze. Angeblich
stand ein Oberster an der Spitze aller
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