Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
Ich öffnete die Augen und sah … – nichts. Also
nicht
gar nichts, sondern fast nichts. Vor meinem Gesicht waberte eine rosa Fläche mit zwei dunklen Punkten. Aus einem Verdacht heraus sagte ich zögernd: »Äh … weck … Mama!« Und Mama antwortete: »Ach, du Scheiße, jetzt ist er auch noch blind!« Das war der Tag, an dem ich mich entschloss, einen Augenarzt aufzusuchen.
Augenärzte sind Ärzte für sich. Sie fahren mindestens zwei Porsches, sind grundsätzlich ausgebucht und in dreifacher Personalunion Verkäufer, Vertreter und Pharmareferent. »Herr Doyle, ich würde Ihnen empfehlen, eine Netzhautreinigung vorzunehmen ( 40 Euro) und dazu noch eine Iris-Spülung ( 20 Euro).« Weil man es sich mit dem Mann ja nicht verscherzen will, nimmt man die Angebote natürlich wahr und verlässt die Praxis um 60 Euro ärmer, mit einem kleinen Zettel für den Optiker in der Hand und tierischem Brennen in den Augen. Im Verlaufe der letzten acht Jahre bin ich neben Bandscheibenexperte auch Brillenexperte geworden: Erst eine Lesebrille, dann eine stärkere Lesebrille, dann eine noch stärkere und schließlich die Gleitsichtbrille mit 17 verschiedenen Sehbereichen. Dauernd frage ich mich, durch welchen Teil der verdammten Gläser ich nun gucken soll: Unten, um zu lesen? Mitte, um Fernsehen zu gucken? Oben, um in der Ferne die Nachbarin zu beobachten? Und jedes Mal, wenn ich verzweifelt an meiner Brille rumnestle, sagt der Pubertierende: »Kauf dir ’n Blindenhund! Ist billiger und weicher.«
»Und wer geht dann mit dem Vieh spazieren?«, mischt sich meine Frau ein. »Der blinde Dicke bestimmt nicht.« Das meint sie natürlich nicht so.
Es ist schon erstaunlich, wie schnell man zum Opfer wird, wenn man Schwächen hat und sie auch zeigt. Das ist wie in der Natur. Wie in einer Dokumentation, die ich auf Arte gesehen hab (ja, ich darf ARTE gucken, wenn mein Sohn nicht da ist). In der Dokumentation haben sich furchtbar wilde Geschöpfe dauernd vermehrt und liefen ständig Gefahr, von anderen wilden Tieren getötet zu werden. Moment, war das überhaupt ARTE ? Oder doch RTL 2 ? Nein, es war Arte, RTL 2 hat keine Untertitel, die muss man ja lesen können. Aber das ist ein anderes Thema.
Also, es war eine ARTE -Dokumentation, sehr interessant, aber eine enorme Herausforderung für meine Augen. Denn der Bildschirm war mittels Split-Screen aufgeteilt: Im unteren Bereich liefen erklärende Texttafeln, in der Mitte sah man im Detail, wie Wildschweine gejagt und anschließend zerfleischt wurden, und im oberen Drittel die ganze Szene in der Totalen.
Ich war total verwirrt!
Meine Augen und das sie steuernde Gehirn fragten sich die ganze Zeit: »Lesen wir zuerst die Untertitel?« Dann also durch die Gleitsichtbrille mit Blick nach unten.
Oder: »Schauen wir uns in der Mitte an, wie die Wildschweine zerrissen werden?«, und gucken geradeaus durch die Brille. Oder: »Richten wir den Blick nach oben, um uns an der Herrlichkeit der Landschaft sattzusehen?« (und um über Wildschweinbraten nachzudenken.)
Meine Augen und mein Hirn waren völlig durcheinander, und das sind die Momente, wo du denkst: »Hätte ich auf den Pubertierenden gehört und RTL 2 geguckt, dann hätte ich diese Probleme nicht!«
Tiefer gelegt
Ich bin nun in einen Lebensabschnitt vorgedrungen, in dem sich Männer fragen: »Ist es nicht langsam Zeit für einen Sportwagen?«
Ich meine – Achtung: Ironie! –, mit meiner sportlichen Figur, meinem schmalen, kantigen Gesicht und meinem dichten Haar kann ich beim besten Willen niemanden mehr beeindrucken. Klar, Humor kommt bei Frauen immer gut an. Wenn aber der Humor aus einem rosigen, schütter-rothaarigen und dreifach bekinnten Gesicht kommt, muss er schon verdammt lustig sein, um bei den Damen Interesse hervorzurufen. Dann doch lieber einen Sportwagen. Das Problem: Wenn ich mal in einem Sportwagen sitze, komme ich nicht mehr raus.
Vor kurzem saß ich im Auto meines guten Freundes Jörg. Das war so ein Sportwagen für Nicht-Ärzte – ein Mazda. Also, ich saß in diesem Porsche-Klon und konnte trotz meiner Größe kaum übers Armaturenbrett gucken. Nach einer halben Stunde Fahrt durch Köln, immer von roter Ampel zu roter Ampel, steuerte Jörg eine Tiefgarage an und fand tatsächlich eine leere Parkbucht. Froh, dem Winzling von Auto zu entkommen, wollte ich aussteigen und – schaffte es nicht. Dann ging es los: Eine Hand am Türholm, die andere am Armaturenbrett. Jörg beugte sich über mich und versuchte, meinen
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