Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
wegen der nassen Röhre.
Zurück zu Dietmar. Natürlich nahm ich seine Diagnose wegen der Flecken auf dem Arm ernst; für einen Hypochonder wie mich war klar: Ich litt unter Hautkrebs und musste dringend zum Hautarzt. Dietmar hatte natürlich auch eine super Empfehlung: eine Frau: »Frauen haben, gerade was das Äußere angeht, mehr Erfahrung.« Das leuchtete mir irgendwie ein, und ich rief an, zwecks Terminvereinbarung zur Letzten Ölung. Nach zweimal Klingeln meldete sich ein Frau mit osteuropäischem Akzent.
»Dermatologische Praxis Günesch, was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag, Doyle hier. John Doyle. Ich hätte gerne einen Termin.«
»Um was geht es, Herr Dolly?«
»
Doyle,
nicht Dolly. John Doyle.«
Ihre Stimme klang nun ungeduldiger. Mit schwer osteuropäischem Akzent, Tendenz östliches Zarenreich, sagte sie: »Tutt mirr leid, Herrrr Doll, um was gäht äs?«
Vor meinem geistigen Auge bekam die Dame ein Gesicht. Ich sah sie als junge Frau im tiefsten Kasachstan und wie ein paar Halbkriminelle auf sie einredeten: »Was willst du hier, Süße! Hier hast du keine Zukunft. Komm mit nach Deutschland, da verdienst du als Prostituierte am Tag mehr als hier in einem ganzen Monat. Nutten werden in Deutschland gut bezahlt.« Die junge Frau glaubte bestimmt den Versprechungen, reiste nach Deutschland und wurde hier mit Gewalt gezwungen, als Arzthelferin zu arbeiten.
»Ich bräuchte einen Termin zur Hautkrebs-Untersuchung«, bitte ich die Zwangsarzthelferin.
»Mhm, Vorsorge. Da habe ich erst in sechs Wochen einen Termin.«
Ich konterte: »Ich bin privat versichert.«
»Oh, Herr Dolly … ich sehe gerade … am Donnerstag ist doch noch was frei.«
An besagtem Donnerstag stand ich also in der Praxis. Eine schöne Praxis. Sehr hell, sehr freundlich. Immerhin, man bot den Todgeweihten auf den letzten Metern ein schönes Ambiente. Allerdings dachte ich nicht lange so defätistisch. Die Frau am Tresen lenkte mich ab. Sie telefonierte. Eindeutig: Sie war die Osteuropäerin, mit der ich auch schon telefoniert hatte. Die Frau war eine Granate. Als Arzthelferin völlig verschenkt. Eine Mischung aus Maria Scharapova und den KGB -Agentinnen aus James-Bond-Filmen: »James, I will f.(piep) you. And than I will kill you.« Und du schaust dir die Szene an und denkst: Ein guter Deal!
Sie legte den Hörer auf und sagte mit süßem russischen Akzent: »Sie können kurz Platz nehmen im Warteraum, Herr Dolly. Dauert nicht lang.«
Ich liebte es, wie sie meinen Namen aussprach.
Im Warteraum traf ich meine Todesangst wieder. Aber ich hatte eine Strategie. Eine sehr simple Strategie: »Denk einfach nicht an Krebs, John. Denk einfach nicht an Krebs. Denk an die KGB -Agentin. Nur an die KGB -Agentin!« Dann schnappte ich mir eine Broschüre und las: »Melanome, und wie Sie vorsorgen können.«
»Denk nur an die Russin, John, nur an die Russin.«
Ich legte die Broschüre zur Seite und nahm eine andere: »Karzinom, Anzeichen und Vorsorge.«
Denk an die Russin.
Noch eine: »Pubertätspickel« – Was soll ich tun?«
Gott sei Dank, kein Krebs. Kein Wunder, dass die Menschen im Wartezimmer lieber Artikel über Boris Becker und seine vielen Kinder oder Til Schweiger und seine vielen Kinder oder über Lothar Matthäus und seine vielen Kinder …
Ich wurde durch die liebliche Stimme der KGB -Agentin aus meinen Gedanken gerissen: »Herr Dolly, Sie können sich jetzt im Raum vor OP 2 umziehen.«
OP 2 ? Umziehen? WHAT THE FUCK ? Ich suchte Aufklärung, Rat, Beschwichtigung, aber keine OP ! Die KGB -Agentin, natürlich psychologisch geschult, sah die Panik in meinen Augen.
»Keine Angst, Herr Dolly, die Chefin macht die Untersuchung immer im OP . Das ist so üblich bei uns.« Mir war klar, dass sie das nur sagte, um mich zu beruhigen.
»Ach so«, antwortete ich, ganz der Hypochonder. »Sind Herzinfarkte bei Ihnen auch üblich?« Sie lachte ihr Agentinnenlachen. Offenbar dachte sie, das wäre ein Witz.
Und schon war ich im Raum vor OP 2 . Im Tausch für meine Klamotten bekam ich ein kurzärmliges, blaues Hemd. Fast sah ich aus wie George Clooney in
Emergency Room.
Im Spiegel sah ich dann, dass es zwischen mir und George doch einen Unterschied gab: George hatte im
Emergency Room
immer Hosen an – also meistens. Zwei Minuten später lag ich auf dem OP -Tisch. Oben George-Clooney-Hemd, unten Tschibo-Boxershorts. Die KGB -Agentin fragte mich, ob sie sich zu mir legen sollte? Ich war sofort einverstanden.
Quatsch! Sie sagte etwas
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