Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
anderes, etwas Ähnliches: »Herr Dolly, Frau Doktor kommt gleich.«
Ich wartete. Voller Vorfreude auf die Hautärztin, die dem Namen nach auch irgendwie aus dem osteuropäischen Raum stammen musste. In meiner Phantasie sah ich sie vor mir: Leder-Outfit, Stöckelschuhe, Peitsche: »Ich hoffe, Ihre Muttermale sind nicht böse, Herr Dolly. Ich mag keine bösen, bösen Muttermale.«
Irre! Ich schaffte es tatsächlich, meine Todesphantasien, meine Angst vor Krebs mit Erotikphantasien zu bekämpfen. Bis die Hautärztin ins Zimmer trat.
»Guten Morgen, Herr Dolly! Na, dann wollen wir mal schauen, was wir hier haben?«
Die Frage war leicht zu beantworten: Wir hatten hier einen todkranken Mann, einen Mann kurz vor der Agonie. Mit letzten erotischen Phantasien. Das aber sagte ich nicht, denn die Frau machte mir Angst. Sie war maskiert. Wahrscheinlich, damit ich sie später nicht identifizieren konnte.
Ihre schöne KGB -Arzthelferin war auch anwesend. Es war die alte »Good Cop – Bad Cop«-Geschichte, in diesem Fall »Good Girl – Bad Girl«: Die eine sollte mich verführen, die andere, die Maskierte, war für die Exekution zuständig. »Herr Dolly, wann hatten Sie Ihre letzte Hautkrebs-Vorsorgeuntersuchung?«
Es war wie beim Zahnarzt: »Wann haben Sie das letzte Mal Zahnseide benutzt?«
»Äh, als ich das letzte Mal hier war.«
Zur Hautärztin sagte ich: »Das ist meine erste Vorsorgeuntersuchung.« Ihre Augen warfen einen ernsten Blick auf mich, dann begann sie quasi im Duett mit der KGB -Agentin die Untersuchung. Statt einer Kalaschnikoff benutzte sie eine Hightech-Lupe. Vermutlich, um mich zu verbrennen. Eine Brandleiche war schwerer zu identifizieren. Doch was die Maskierte dann sagte, hörte sich an wie Bingo:
»Stirn oben rechts, Stirn oben links, Schädel oben, Brust Mitte, rechtes Bein außen, linkes Bein innen, linker Arm, innen und außen. Die sehen nicht gut aus, Herr Dolly!«
Eigentlich sah nichts gut aus. Im Verlaufe des Bingos erwähnte sie alle gängigen Körperteile. Kein Wunder: Aufgrund meiner genetischen Veranlagung – wir alle sind große, rothaarige Iren – und nach jahrelangem Training in diversen Fastfood-Restaurants hat mein Körper einen recht imposanten Umfang entwickelt, groß genug für mehrere Dutzend Muttermale.
Ich musste an Dietmar denken und dass er nur
ein
komisches Muttermal entdeckt hatte. Die beiden Agentinnen fanden allein auf dem rechten Arm zwölf verdächtige Muttermale. Der alte Witzbold in mir fragte: »Kriege ich für zehn Stück Rabatt?«, und ich ahnte, dass die Exekutive unter ihrer Maske lachte: »Mal sehen.« Dann kratzte sie an ein paar Stellen herum. Sie nannte es »Gewebe sammeln«. Es sollte ins Labor geschickt werden, zwecks weiterer Untersuchungen. Ich nickte, als ob mir das völlig klar wäre, und bevor ich denken konnte, dass sie sich das eigentlich hätte sparen können, weil ich ohnehin demnächst den Löffel abgeben würde, schnitt sie mit einem Skalpell noch ein Stückchen Rücken heraus. Währenddessen fiel mir ein, dass sie mich ja vorher betäubt haben musste. Ich hatte nichts davon mitbekommen.
Gar nichts.
Njet.
Wahnsinnig geschickt diese KGB -Leute, selbst wenn sie seit Jahren nicht mehr aktiv sind im Spionagegeschäft. Ich habe einen höllischen Respekt vor Sean Connery: Dass er das alles heil überstanden hat …
Aus dem Krebs ist übrigens nichts geworden. Dietmar wird enttäuscht sein. Ich werde ihn demnächst ein wenig aufmuntern müssen, mir wird da schon was einfallen. So etwas wie »nächtlicher Harndrang« oder »Hüftsteifheit«. Verzeihung, ich meine natürlich: »Blasenkrebs« und »Hüftdysplasie«.
Dann kam … das Leben mit dem Leiden
Freunde
Noch habe ich mehr Lebensjahre auf amerikanischem als auf deutschem Boden verbracht. Allerdings rückt mit fortschreitendem körperlichen Verfall die deutsch-amerikanische Parität – in Lebensjahren gemessen – immer näher. Ich werde immer deutscher, von Tag zu Tag. Es ist ein schleichender Prozess, der aber schon jetzt Wirkung zeigt: Ich hinterfrage viel mehr, bin pessimistischer, was meine Zukunft betrifft, und überlege stets zweimal, ob ich mir den zweiten Fleischklops im Brötchen auch noch antue – bevor ich ihn mir dann antue. Aber es wird die Zeit kommen, da werde ich auf ihn verzichten. Das wird der Tag sein, an dem sich meine restlichen amerikanischen Freunde endgültig von mir abwenden; ich würde ihnen ansonsten ein zu schlechtes Gewissen machen. Allein mein Blick,
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