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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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Näschen »John« nahm. Proberiechen für den Ernstfall. Dann verfiel er wieder ins Sportgeschäftschinesisch: »Die Funktionskleidung funktioniert nach dem Zwiebelprinzip. Kennen Sie das
Zwiebelprinzip?
« Er wartete meine Antwort nicht ab.
    »Beim
Zwiebelprinzip
trägt man verschiedene, sich ergänzende Stoffe übereinander. Unten drunter, also auf der Haut, nehmen wir Merinowolle, weil sie den Schweiß abtransportiert, und man unterkühlt nicht wie bei Baumwolle.«
    »Das meint Susi auch.«
    Er beachtete meinen Einwurf nicht. Ich hätte wetten können, dass er Susi kannte, dass alle »Zwiebelprinzipträger« eine große Community bildeten und sich ständig austauschten.
    »Über der Unterwäsche aus Merinowolle nehmen wir dann ein Softshell-Shirt und dann ….« Ich unterbrach ihn.
    »Könnten Sie mir die Merinowolle-Unterwäsche zeigen?« Er zeigte mir etwas, das ein wenig an eine Rennradlerhose erinnerte. Sportlich sah sie aus, und ich war überzeugt.
    »Super, die nehme ich.«
    »Eine gute Wahl, und 60 Euro sind auch wirklich ein angemessener Preis für echte neuseeländische Merinowolle.«
    » 60 Euro?« Ich war schockiert. »Haben Sie nicht Merinowolle aus Polen? Sechs Euro für drei Unterhosen?« Jetzt wurde er schnippisch.
    »Nein, das haben wir nicht. Das gibt’s vielleicht bei
Tchibo,
aber nicht in einem
Sportfachgeschäft

    Ich weiß, dass es das bei Tchibo nicht gibt. Ich muss es wissen, weil ich meine Unterhosen immer im Kaffeeladen kaufe. Also bohrte ich weiter.
    »Aber ganz im Ernst. Wie in Gottes Namen kann eine Unterhose 60 Euro kosten?«
    »Merinowolle«, antwortete er, »ist Wolle vom Merinoschaf aus Neuseeland. Das sind ganz besondere Tiere. Im Gegensatz zu unseren Schafen, die nur faul auf der Weide rumstehen und fressen, ist das Merino ein Bergschaf, das unter unterschiedlichsten Witterungsbedingungen in den Bergen herumläuft. Deshalb hat die Wolle des Merinoschafs ganz besondere Eigenschaften. Sie ist auf Hitze und Kälte, Trockenheit und Nässe optimal eingestellt. Die Fasern sind atmungsaktiv und vor allem geruchsneutral.«
    Jetzt ist mir klar, warum die Unterhose 60 Euro kostet. Allein das Merinoschaf zu entwickeln, musste ein Heidengeld gekostet haben. Ein witterungsbeständiges, atmungsaktives und geruchsneutrales Schaf, das muss man erst einmal herstellen. Ich war also entsprechend begeistert und auch willig, 60 Euro zu bezahlen.

    60 Euro für etwas, das höchstens meine Frau sieht, wenn ich frühmorgens und völlig schlaftrunken im Badezimmer stehe, in den Spiegel starre, weil ich vergessen habe, wer der dicke Mann ist, der mich da anstarrt.
    Egal, die Merino-Unterhose wurde mein. Und damit ich vollständig befriedigt war, setzte der Verkäufer noch einen drauf.
    »Was das Allerbeste ist: Bei Merinowolle hat man überhaupt nicht das Gefühl, dass man schwitzt,
während
man schwitzt. Weil der Schweiß quasi abtransportiert wird, als hätte man überhaupt nicht geschwitzt!« Super, ich war höchst zufrieden mit meiner Kaufentscheidung, trotzdem hatte ich noch eine Frage.
    »Wenn mein Merino den Schweiß abweist, wo läuft der denn dann hin? In die Schuhe?«
    »Nein, der verdunstet auf der Haut, während der Bewegung, sozusagen durch den ›Fahrtwind‹.«
    Der Mann kannte mein Lauftempo nicht. Bei mir entsteht kein Fahrtwind. Höchstens ein Fahrthauch. Bevor ich meine Bedenken mit dem Verkäufer teilen konnte, haute er auch schon den nächsten Knüller raus.
    »Das Beste ist: Jedes Kleidungsstück aus Merinowolle hat einen Computer-Code, den sogenannten »Baacode«, und wenn man nun im Internet seinen »Baacode« eingibt, erfährt man genau, wo die eigene Wäsche herkommt. Also, wo das Schaf herkommt, von dem die Wolle stammt. Ist das nicht irre?«
    Stimmt,
das
war irre. Überhaupt, das
alles
war irre. Der Verkäufer und ich auch. Aber wenn ich nun meine
BodyFit 200
anhabe und nicht mehr schwitze und stinke wie ein Schwein, dann weiß ich, dass ich das einem Schaf aus Glenmore Station im Süden Neuseelands zu verdanken habe. Vielleicht heißt es Daisy oder Harry oder sogar John – das atmungsaktive, witterungsbeständige und geruchsneutrale Schaf, das glücklich durch die Berge rennt und hin und wieder mit einem kräftigen »Mäh« seine Freude ausdrückt. Darüber, dass es ein Merinoschaf ist und kein blödes, deutsches Schaf, das dumm rumsteht und schwitzt und stinkt.

    Ich war auch glücklich.
    Heute müsste ich eigentlich noch zum Lauftreff mit Susi gehen. Obwohl – heute

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