Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
werden. Ein Solidarsystem wie in Deutschland, nur viel direkter. Man zahlt seinen Solidarbeitrag nicht in die Krankenkasse ein, sondern hinterlässt das Geld direkt bei den Ärzten. Trotzdem war ich ein bisschen erbost über die 300 Dollar. Zumal ich als Ausländer nichts von den liberalen Waffengesetzen in den USA habe. Höchstens als Opfer. Deshalb wagte ich noch einen Versuch, um den Preis ein wenig zu drücken.
»In Deutschland hat jeder eine Krankenversicherung und muss nicht für jede Kleinigkeit bezahlen. Und schon gar nicht 300 Dollar für 60 Sekunden Arzt!«
Jetzt wirkte die Dame dann doch ein wenig genervt. Vermutlich war ich nicht der Erste an dem Tag, der sich über die hohe Rechnung beschwerte.
»So ein staatliches System wollen wir in den USA nicht. Hier ist jeder für sich selbst verantwortlich.«
Ach was? Gerade hatte ich die Behandlung einer Schussverletzung – bei 300 Dollar war es bestimmt ein Steckschuss – für einen Fremden bezahlt, aber in Amerika ist jeder für sich selbst verantwortlich? Übersetzt hieße das nichts anderes als: »Geh nicht in die Notaufnahme.« Das sind solche Momente, in denen mir bewusst wird, wie sehr ich schon Deutscher geworden bin: Ein Land, in dem sich jeder Mensch ins Wartezimmer setzen darf und weiß, dass er irgendwann drankommt. Egal, wie lange es dauert. Und das, ohne nachher die Kreditkarte zücken zu müssen.
Das gilt auch für einen Montag.
Wann genau es am Montag gilt, keine Ahnung, spätestens nach dem achtzehnten Loch.
Personal Training
Am Anfang war die Bandscheibe.
Dann kamen die Schmerzen.
Dann der Arzt beziehungsweise die Ärzte.
Und dann endlich die Therapien. Eine davon nennt sich »Bewegung«. Das Gegenteil von »Bewegung« ist das, was ich am besten beherrsche: Sitzen, Liegen und Rumlungern. Weil Sitzen, Liegen und Rumlungern Schmerzen verursachen können, muss ich also das Gegenteil tun: Bewegen. Bewegen und nochmals bewegen. Da neben meiner Wirbelsäule auch mein Wille eingerostet ist, habe ich Susi engagiert, meine persönliche Trainerin oder, wie der Ami in mir sagt: Mein »Personal-Coach«. An Susi bin ich durch meinen Physiotherapeuten Rolf gekommen, auf den ich wiederum durch eine Empfehlung meines Orthopäden Peter gestoßen bin. Oder war es Alexander? Oder Vladimir? Auf jeden Fall einer meiner Duz-Orthopäden,
Susi, mein Personal-Coach, ist durchtrainiert, braungebrannt und sehnig. Selbst ihr Gesicht ist muskulös, jede Falte wird durch einen Muskelstrang unterfüttert.
Ihre Brüste sind nicht von Brustmuskeln zu unterscheiden, und die Adern auf ihren Armen sehen aus wie die Flusszuläufe im Mekong-Delta. Kurz: Susi sieht aus wie eine gut erhaltene Achtzigjährige, die vermutlich 60 ist und auf sportliche 40 macht. Und zweimal in der Woche läuft sie mit mir durch den Wald, immer an der Autobahn lang – wie das im Kölner Stadtwald so üblich ist.
Beim ersten Mal waren wir knapp 20 Minuten unterwegs, und schon lief mir der Schweiß in Strömen herunter. Das Problem war, dass wir noch gar nicht losgelaufen, sondern noch
auf dem Weg
zur Laufstrecke waren.
»Mensch, John«, sagte Susi, »du schwitzt ja wie ein Schwein!« Ich wusste nicht, wie ein Schwein schwitzt, aber ich liebe noch heute Susis direkte Ansprache. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass sie aussah wie eine lebendige Moorleiche, ließ es aber, da ich Sorge hatte, sie würde mich in den Schwitzkasten nehmen und mich mit ihren Unterarmen erwürgen.
Apropos Schweiß. Ist ja eigentlich was Gutes. Der Körper schwitzt so vor sich hin, um die Körpertemperatur zu regeln. Warum der Schweiß riechen muss, leuchtet mir nicht so wirklich ein. Ich meine, um die Temperatur zu regeln, muss man ja nicht unbedingt stinken. Nehme ich auf jeden Fall mal an. Aber zurück zu meiner Pre-Jogging-Transpiration, wie ich das gern bezeichne, wenn man schwitzt wie ein Schwein, bevor man überhaupt losgelaufen ist. Es gibt außer dem sinnlosen Stinken noch einen weiteren Nachteil beim Schwitzen: Der Schweiß muss irgendwo hin. Aber wohin? Bei mir lagert er sich in den Sportklamotten ab. Im T-Shirt, in der Hose und in der Hose unter der Hose, sprich, in der Unterhose. Alle drei Sachen sind aus Baumwolle, und die kann bekanntlich sehr viel Flüssigkeit aufnehmen.
»John, der Schweiß, den du produzierst«, dozierte mein gestrenger Personal-Coach, »der wird nicht vom Körper weggetragen, sondern sammelt sich in deinen Baumwollsachen, und die hängen dann nass an deinem Körper.«
Ich dachte:
Weitere Kostenlose Bücher