Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
Sie an einer craniomandibulären Dysfunktion leiden.«
(»Könnte sein« ist die typische Wortwahl eines Arztes. Kein guter Arzt legt sich wirklich fest. Er lässt sich vielmehr einen Spielraum, um verschiedene Behandlungsmethoden auszuprobieren und die mit der Krankenkasse abrechnen zu können. Wenn ein guter Arzt alles probiert hat, überweist er den Patienten an einen Kumpel, der wiederum alles ausprobiert und so weiter …)
»
An was
könnte ich leiden?«
»An craniomandibulärer Dysfunktion.«
»Oh, sage ich.«
Mensch!, denk ich, das wird meine Kumpels im Wartezimmer ganz sicher schwer beeindrucken, wenn ich ihnen davon erzähle.
»Hey John, wie geht’s? Was hat er gesagt?«
»Craniomandibuläre Dysfunktion!«
»Echt? Craniomandibuläre Dysfunktion? Super! Ich hab nur arschnormalen Überbiss.«
Weil der Kieferorthopäde so stolz war, dass er mein – wahrscheinliches – Leiden verletzungsfrei aussprechen konnte, erläuterte er mir sogar – natürlich erst auf Nachfrage –, was eine craniomandibuläre Dysfunktion ist.
»Eine craniomandibuläre Dysfunktion, Herr Doyle, leitet sich ab von Cranium – Schädel, Mandibula – Unterkiefer und Dysfunktion – Fehlfunktion. Also auf Deutsch: Schädelunterkieferfehlbetätigung.«
»Hm, das hört sich logisch an«, sagte ich.
»Die Ursache dafür könnten (!) eine Fehlstellung der Zähne oder fehlende Zähne oder auch fehlerhafte Füllungen sein. Ich kann Ihnen dafür einen sehr guten Zahnarzt empfehlen.« Dass er das konnte, glaubte ich ihm unbesehen. Es würde sicherlich noch ein paar 911 er-Kumpel geben.
»Nein danke, ich habe schon einen sehr guten Zahnarzt, zu dem ich allerdings seit Jahren nicht mehr hingehe.«
Ich merkte, dass ihm das nicht gefiel: Ein Patient, der selbst einen Arzt kannte. Einen Arzt, der vermutlich nicht zu seinem nahen Freundeskreis gehörte und der vielleicht noch nicht einmal einen Porsche fuhr. Womöglich nur einen Audi TT , was ja gar nicht ginge. Deshalb holte er nun zum kieferorthopädischen Rundumschlag aus.
»Klar, Herr Doyle, aber gerade bei der Diagnose craniomandibuläre Dysfunktion ist eine enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen medizinischen Disziplinen der Zahnheilkunde, der Allgemeinmedizin, der Orthopädie, der Physiotherapie und gegebenenfalls der Psychosomatik vonnöten. Da müssen die Ärzte Hand in Hand arbeiten. Ach ja, und ein guter Hals-Nasen-Ohren-Arzt sollte auch dabei sein.«
»Mensch«, sage ich, »haben Sie so viele 911 er in Ihrem Club?« Jetzt musste er doch ein wenig lächeln.
»Ja klar, was glauben Sie denn?«
Wir vereinbarten einen neuen Termin. Das mit dem Termin halte ich für besonders wichtig. Hingehen werde ich aber nicht. Was ich ebenfalls für wichtig halte: Ich werde versuchen, meine Nackenschmerzen mit einer natürlichen Therapie zu bekämpfen.
Zum Beispiel mit Alkohol.
Oder Kiffen.
Mal schauen, ob mir der Pubertierende was abgibt.
Chiropraktiker
Der Tag, an dem ich zum ersten Mal einem Chiropraktiker begegnet war, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Wie der Tag, an dem ich zum ersten Mal ein Mädchen geküsst habe. Gut, das ist noch nicht so lange her, aber beim Chiropraktiker ist es trotzdem nicht viel anders. Sobald ich an »Chiropraktiker« denke, knackt es irgendwo hinter mir. Genauer, es knackt nicht wirklich hinter mir, es knackt in mir, irgendwo hinten. Da wo der Rücken ist, der Nacken, die Wirbelsäule und all die Bandscheibchen, die beim Schmerzenmachen mitreden wollen.
Bis dahin war mir die Welt der Chiropraktik völlig fremd. Warum auch nicht? Chiropraktiker sind keine Ärzte und noch nicht einmal richtige medizinische Esoteriker. Die kannte ich natürlich. Zum Beispiel die Osteopathen, die Weichei-Mediziner, die Rückenschmerzen durch Schilderung unangenehmer Kindheitserinnerungen bekämpfen, plus anschließender Light-Massage unter dem Einsatz von Duftkerzen. Übrigens ist die Osteopathie eine amerikanische Erfindung und damit ein Beweis, dass wir Amis nicht nur harte, rücksichtslose Burschen sind, sondern unter unserer rauen Schale auch einen weichen Keks haben.
Der Begegnung mit dem Chiropraktiker ging ein Radiointerview voraus. Ich saß im Studio, neben mir eine junge, hübsche Moderatorin. Weil sie so jung und so hübsch war, versuchte ich, möglichst aufrecht auf dem Stuhl zu sitzen. Bauch rein, Brust raus. Alles nur, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Warum ich das tat, weiß ich nicht wirklich. Es musste der Urinstinkt gewesen sein.
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