Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
sagte ich zu meinem schlechten Gewissen: »Okay, Quentin, ich gehe ins Fitnessstudio. Heute noch. Ich werde ab sofort an mir arbeiten!« Und mit diesen ebenso markigen wie interpretationsfähigen Worten machte ich mich schnurstracks auf den Weg zum Fitnessstudio. Es war ja nicht nur mein schlechtes Gewissen und mein Sohn, die mich antrieben. Es war auch einer meiner Orthopäden. Bei meinem letzten Besuch hatte der freundliche 911 er noch einmal eindringlich darauf hingewiesen, wie wichtig ausreichende Bewegung ist.
»Herr Doyle, das ist wie im Krankenbett: Wenn man zu lange liegt und die Muskeln nicht benutzt, werden sie schlapp und nutzlos und nach kurzer Zeit verschwinden sie einfach. Herr Doyle, Sie müssen sich bewegen. Sie müssen Muskeltraining machen. Warum melden Sie sich nicht einfach in einem Fitnessstudio an?«
Na, weil ich doch schon angemeldet bin! Aber das hatte ich ihm nicht gesagt. Bei meinen diversen Arztbesuchen hatte ich ohnehin schon die Rolle des Deppen angenommen. Mehr Depp muss ja nicht sein.
Fitnessstudio ist einfach nicht so mein Ding. McDonald’s? Okay! Burger King? Klaro! Aber Fitnessstudio? Eher nicht. Wenn es ein »Fitness-Drive-In« gäbe, dann würde ich ganz sicher hingehen beziehungsweise hinfahren. Man stelle sich das mal vor: Irgendwann in der Zukunft fährt man ins Fitnessstudio in einem Elektro-Stretch-Hummer, und eine freundliche Frauenstimme würde aus den Lautsprechern ertönen.
»Herzlich Willkommen bei McFitness! Ihre Bestellung, bitte.«
»Ich hätte gern ein Sixpack und zehn Kilo Fettabsaugung.«
»Möchten Sie für 1000 Euro extra auch eine Vollrenovierung inklusive Gesichtsstraffung und Penisverlängerung?«
»Ja, warum nicht? Man lebt nur einmal.«
»Ich darf notieren: Einmal Sixpack, zehn Kilo Fettweg, Facelifting und Penisverlängerung. Dazu gibt es noch eine große Cola gratis. Macht insgesamt 14 000 Euro. Fahren Sie bitte zum nächsten Fenster.«
Leider gibt es das »Fitness-Drive-In« oder »Fitness-Drive-Thru« noch nicht. Es gibt nur Studios, die zwar vielversprechend heißen wie zum Beispiel »McFit«, in denen man aber trotzdem alles selbst machen muss.
Mein letzter Besuch im Fitnessstudio war vor ungefähr sieben Monaten, zum x-ten Probetraining. Ich betrat den Raum, der abgesehen von einer Fensterfront nur verspiegelte Wände hatte, und sah mich: Groß, plump, rothaarig, rotwangig. Ungefähr aus der Mitte meines Körpers trat eine Wölbung hervor. Alle anderen im Raum sahen fit und sportlich aus und hatten schicke, ebenso sportliche Klamotten an. Ich sah Männer in farbigen Unterhemden, die ihre darunter liegenden Muskelstränge nur mühsam verbergen konnten – was sie wahrscheinlich auch gar nicht verbergen wollten. Und wo waren die Dicken, die Fettleibigen, hinter denen ich mich verstecken konnte? Ah ja, einen sah ich. Im Spiegel. Mich. Alle anderen joggten, strampelten, steppten oder stemmten Gewichte: 100 Kilo, 200 Kilo, eine Tonne. Und alles stöhnte vor sich hin. Männer stöhnten, als hätten sie Presswehen, und Frauen, als wären sie beim Pornodreh. Ein Gedanke durchströmte mein Hirn: »Hau ab, John! Hau so schnell wie möglich ab! Das ist nichts für dich!«
Zu spät! Schon kam meine neue Trainerin auf mich zu. Sonja hieß sie. Oder Nadja. Oder Tanja. Irgendwas mit »ja« am Ende. Sie war natürlich schwer durchtrainiert und sah verdammt streng und entschlossen aus. Auf der Stelle wünschte ich mir eine Trainerin, die Gertrud hieße oder Gudrun, von mir aus auch Mechthild. Gertrud-Gudrun-Mechthild hätten mir kein Turbotraining abverlangt. Sie hätten erst eine halbe Stunde mit mir geredet und dann Beckenbodenübungen verordnet. Das Training für fettleibige Amerikaner, die es langsam angehen wollen. Aber meine Trainerin hieß wie gesagt Sonja, Tanja oder Dunja und legte sofort richtig los.
»Möchten Sie an der Kondition arbeiten, Herr Doyle, oder Kraft aufbauen?«
»Gibt es noch eine Alternative?«
Sie schaute mich irritiert an. Ihre Sehnen am Hals spannten sich an und setzten ihren Kopf in Bewegung. Es war eindeutig ein nonverbales Nein.
»Okay«, sagte ich, »dann lieber Kondition.«
»Wunderbar, dann kommen Sie mal mit zum Fahrrad.«
»Fahrrad« klang gut. Fahrrad fahre ich hin und wieder. Ist in Köln auch relativ einfach: Es gibt keine Berge, und wenn man nicht am Rhein entlangfährt, stört auch kein Wind. Auf dem Fitnessfahrrad weht einem zwar keine Brise entgegen, dafür gibt es allerdings Berge: Ich war kaum drei
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