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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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unterwegs, und schon registrierte mein Körper den ersten Neuschmerz. Gleichzeitig begannen die obligatorischen Selbstgespräche.
    »Mensch, John, warum tut dir bloß der Arsch so weh?«
    »Keine Ahnung, John, vielleicht ist kein Sattel drauf?« – »Nein, kann nicht sein. Das Gefühl kenne ich vom Urologen, das fühlt sich anders an.«
    »Na ja, vielleicht fehlt nur die Polsterung vom Sattel? Schau doch mal nach!«
    Ich schaute nach, die Polsterung war einwandfrei. Das Problem war nicht die Polsterung oder der Sattel an sich, das Problem war die körpereigene Polsterung. Ich hatte einfach keine. Beziehungsweise, ich hatte mal eine, aber die war weg. Jetzt passte die Redewendung »Kein Arsch in der Hose!« auf mich wie der Spruch: Passt wie’n Arsch auf Eimer.

    Was für eine bodenlose Frechheit: Überall hatte ich Fett: am Bauch, zwischen meinen inneren Organen, am Hals, im Gesicht, überall, nur nicht am Arsch. Das Popo-Fett hatte offenbar am Bauch eine neue Heimat gefunden.
    Spontan dachte ich an Jennifer Lopez. Normalerweise möchte ich wenig von dem, was Frauen an ihrem Körper haben, an meinem eigenen sehen. Brüste zum Beispiel stehen mir gar nicht. Eine Ausnahme würde ich nur bei Jennifer Lopez’ Hintern machen. Ich meine nicht die Wölbungen zur Seite, sondern die nach hinten – die würde ich ihr abnehmen, zumindest fürs Fahrradfahren! Die Form meines Hinterteils ist denkbar ungeeignet fürs Radeln, außer man fährt im Stehen. Wie einst Lance Armstrong: Im Stehen, vollgepumpt mit EPO und bis zum Rand gefüllt mit sauerstoffangereichertem Blut.
    Um ehrlich zu sein: Der Grund, warum ich mich überhaupt entschlossen hatte, aufs Rad zu steigen, war, dass ich Sport im Sitzen betreiben wollte. Aber wie sollte das gehen, wenn man nichts hatte, auf dem man sitzen konnte?
    Weil ich jedoch Amerikaner bin und wir Amerikaner uns immer irgendwie durchbeißen, »tough guys« eben, radelte ich einfach weiter. Trotz höllischer Schmerzen. Und: siehe oder spüre da! Schon bald wurde es hintenrum besser. Ich fuhr also aus der Stadt raus, vorbei an einem von circa zwei Dutzend Kölner Kunstgewässern, dem »Aachener Weiher«, dann links Richtung Uni, vorbei an herumlungernden Studenten, die mich an meinen Sohn erinnerten und daran, dass ich ihn auch demnächst fürs Rumlungern bezahlen müsste, anschließend durch den »Volksgarten« und dann in die Südstadt bis »runter zum Rhein«. Ich fuhr noch ein paar Kilometer Richtung Bonn, weil ich vergessen hatte, dass ich links abbiegen musste, um nach Hause zu kommen. Danach aber schnurstracks Richtung Dom und ab nach Hause. Insgesamt saß ich eine Stunde auf dem Rad und – war nicht tot. Also, nicht richtig tot. Auf jeden Fall tat weder meine Bandscheibe weh noch mein Nacken. Und weil das so war, entschloss ich mich, jeden Tag eine solche Tour zu machen.

    Eine Woche lang ziehe ich es tatsächlich durch. Ich steige also jeden Tag aufs Rad, jeden Tag fällt es mir leichter. Meinen Hintern spüre ich kaum noch, und mein Rücken ist in Topform: Kein Witz, es geht ihm viel besser. Abgenommen habe ich auch noch. 50 Gramm in einer Woche. Egal, Kleinvieh macht auch Mist.
    Aber das ist noch lange nicht alles und auch nicht das Wichtigste: Ich fühle mich auch geistig wie befreit. Wenn ich mit meinem Rad unterwegs bin, denke ich nur ans Radfahren. Nur an die Straße. Der einzige weitere Gedanke, der mir durch den Kopf geht, ist nur noch: Bitte, lieber Gott, mach, dass mich der Autofahrer da vorne sieht!
    Nein, ich denke auch an vieles andere. Ich denke an die Rennradfahrer, die mich vom Fahrradweg schubsen wollen. Ich denke an die Fußgänger, besonders die Rentner, die, ohne zu gucken, einfach so über den Radweg latschen, noch geistesabwesender, als ich es bin. Plötzlich tauchen sie aus dem Nichts auf, gucken mich mit einem Blick an, der vermutlich so ähnlich wie ein Voodoo-Todesfluch wirken soll. Und während ich so etwas denke, so völlig in der Gegenwart, im »Hier und Jetzt«, mit all den Radfahrern, Autofahrern und umherirrenden Rentnern, habe ich kaum Gelegenheit, über Vergangenes zu lamentieren oder mir Sorgen um Zukünftiges zu machen. Ich habe keine Zeit, mich zu fragen: Wird meine Show heute Abend gut laufen? Oder: Gibt es einen bestimmten Grund, warum mich meine Frau permanent »Dicker« nennt, obwohl ich von Tag zu Tag dünner werde? Oder: Warum wohnt mein pubertierender Sohn immer noch bei uns? Weiß er denn nicht, dass es sehr viele gute Kinderheime gibt?
    Wenn

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