Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
für mich zu finden. Also stieg ich aufs Laufband, zwei Stufen, und musste danach erst einmal fünf Minuten Pause machen, um wieder richtig durchatmen zu können. Am Ende kaufte ich bequeme Schuhe für ausgedehnte Spaziergänge durch den Entenpark.
In diesem Moment hat es dann in mir »Klick« gemacht. Ich hab kurz gewartet, ob das »Klick« vielleicht ein eingeklemmter Nerv war, der sich nun gelöst hatte. Weil sich aber körperlich nichts veränderte, musste ich einsehen, dass es nicht mehr reichte, sich einzugestehen, ein fauler Fettsack zu sein. Das »Klick« bedeutete: Ich bin bereit, etwas gegen das Klicken zu tun – und zwar täglich.
Zuerst zog ich zum x-ten mal Bilanz: Ich wusste, dass meine Bandscheibenprobleme mit meiner schlechten Körperhaltung zu tun hatten, und ich wusste ebenfalls, dass meine schlechte Körperhaltung mit meiner Fettleibigkeit zu tun hatte und meine Fettleibigkeit mit Bewegungsmangel. Weil ich ein schlaues Bürschchen bin, fing ich also mit Bewegung an. Nicht einfach nur im Fitnessstudio oder durch Jogging, ich bewegte mich ab sofort immer und überall.
Zum Beispiel: Egal, wo ich hinkomme, immer lockt ein Fahrstuhl. Der alte John wäre sofort eingestiegen, hätte auf die »Sieben« gedrückt und wäre mit dem Aufzug nach oben gefahren. Der neue John entscheidet sich nun für das Treppenhaus. Zwar wird der neue John unterwegs noch von subversiven, amerikanischen Gedanken geplagt: »Sag mal, John Doyle, bist du blöde oder was? Fahrstühle sind ein Zeichen des Fortschritts. Sie wurden nicht erfunden, um still im Schacht zu stehen. Fahr endlich damit! Du bist Amerikaner!« Aber ich trotze meinem amerikanischen Unterbewusstsein und steige weiter die Treppenstufen nach oben.
Bis vor kurzem stellten Treppenhäuser für mich nur Fluchtwege dar, falls es mal irgendwo brennt. Dass man sich darin auch ohne Panik bewegen kann, war mir nicht bewusst. Das Treppenhaus als Trainingsparcours? Um Herz und Kreislauf in Schwung zu bringen?
Mein
Herz und
meinen
Kreislauf? Niemals! Am Anfang hatte ich auch echte Probleme. Ich musste unterwegs immer wieder Pausen einlegen und durchschnaufen – und das bereits auf dem Weg in die erste Etage. Aber heute ist das anders. Heute ist der neue John unterwegs. Ein Gebäude mit fünf Etagen, eines mit sechs und als Krönung der Mont Blanc der Treppenhäuser: eines mit sieben Etagen. Vor zwei Monaten hätte ich gefragt: »Sieben Etagen? Zu Fuß? Warum?« Heute frage ich nicht mehr nach dem Warum, jetzt sage ich: »Warum nicht? Fuck the fucking Aufzug!« – und eile in die siebte Etage hinauf und denke: Okay, fünf hätten auch gereicht. Dann trockne ich mich mit einem Handtuch ab, ziehe mein Ersatz-T-Shirt an und träume von Thomas Dold. Wie? Sie kennen Thomas Dold nicht? Den sechsfachen Meister des Treppenhochhaus-Rennens im New Yorker Empire State Building? Er schafft 86 Stockwerke beziehungsweise 1576 Stufen in wenig mehr als zehn Minuten. Wahnsinn! Thomas Dold ist mein Hero, mein Treppenhaus-Idol. Wenn ich jetzt im Kaufhaus oder in einem Gebäude mit mehreren Etagen bin, frage ich nicht mehr: »Entschuldigen Sie, wo bitte geht’s hier zum Fahrstuhl beziehungsweise zu den Süßigkeiten?«
Nein, ich stelle nun die eine und entscheidende Frage, die Frage, die auch Thomas Dold stellen würde: »Entschuldigen Sie bitte, wo ist hier das Treppenhaus?«
»Das Treppenhaus? Wieso?«
Eine berechtigte Frage, auf die ich keine wirkliche Antwort habe. Also sage ich: »Meier. Feuerwehroberhauptmann. Muss einen Kontrollgang machen.«
Dann werde ich jedes Mal von oben bis unten gemustert. Der Typ schätzt ab, ob ein großer, rothaariger, irisch aussehender Mann mit amerikanischem Akzent und einem Badetuch mit Hawaii-Motiv in der Hand in etwa dem Bild eines deutschen Feuerwehroberhauptmanns entspricht. Kommt dann offenbar zu dem Ergebnis, dass ihm das irgendwie scheißegal ist und zeigt mir mit dem Finger den Weg zu meiner Sportarena, dem Treppenhaus. Ich stürze hin und nehme die nächsten vier Etagen im Laufschritt.
Seit das Treppensteigen zu meinem Alltag gehört wie der Streit mit meinem hormongesteuerten Sohn fühle ich mich gesünder und viel fitter. Heute muss ich schon drei Minuten auf dem Laufband joggen, um aus der Puste zu kommen. Weil ich so stolz darauf bin und wie jeder erfolgreiche Sportler auch für meine Leistung bewundert werden will, gehe ich jetzt zweimal pro Woche ins Laufschuhgeschäft. Meine mittlerweile 20 Paar Joggingschuhe werde ich
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