Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
ging an ihr vorbei, grüßte kurz, und sie starrte mich an. Jetzt hatte sie mich – den fleißigsten Wasserlasser auf Gottes Erden – wiedererkannt. Ich tat so, als wäre ich nicht ich, und ging in den Raum mit den vielen Keramikschüsseln. Während ich meinen Körper um das überschüssige »Schmiermittel« erleichterte, spürte ich auf einmal einen Blick in meinem Rücken. Es war kein Kölner, der seine Chancen, bei mir zu landen, abwägte, sondern die Klofrau. Sie tat, als hätte sie etwas wahnsinnig Wichtiges zu erledigen, was keinen Aufschub vertragen konnte, was unbedingt in diesem Moment getan werden musste und nicht etwa 20 Sekunden später. Klar, die Dame wollte kontrollieren, was ich da anstellte. Ich, der Mann, der innerhalb von 30 Minuten dreimal auf ihrer Toilette erschien. Ganz sicher unterstellte sie mir irgendwelche dunklen Absichten. Sekunden später ist alles Wasser zurück im natürlichen Kreislauf. Ich ging zur Klofrau, legte ihr 50 Cent auf das Tellerchen.
»’tschuldigung, ich muss so viel Wasser trinken – vom Arzt verordnet.«
Kunstpause. Blicktausch. Finaler Hieb.
»Weil ich immer steif bin!«
Okay, den Krieg mit der Klofrau habe ich gewonnen. Ansonsten war das tägliche Drei-Liter-Trinken eine Qual. Erst einmal schmeckt Wasser nicht wie Bier. Nicht einmal wie Kaffee. Es schmeckt wie Wasser, also irgendwie gar nicht. Und dann musste ich tatsächlich immer und immer wieder auf die Toilette. Egal wo, ich musste. Ich kannte bald jede öffentliche Toilette in Köln, und ich sage: Man muss
nicht
jede kennen. Ich kannte dann auch bald die meisten Toiletten in anderen Städten. Ich fuhr mit meiner Frau zum Beispiel nach Paris. Sie schaute sich den Louvre, die Zuckerbäckerkirche, den Montmartre an, und ich? Ich schaute mir die Pariser Toiletten an. Während meine Frau mit »Oh«, »fantastique«, »manifique« nur so um sich warf, dachte ich: Hey, cool, Automatikspülung – und das mitten in Paris!
Aber der Herr Doktor ließ trotzdem nicht locker.
»Herr Doyle, wenn Sie Ihre Schmerzen in den Griff kriegen wollen, schlage ich vor, dass Sie weitermachen mit dem Wassertrinken. Dann werden Ihre Bandscheiben schön befeuchtet, Ihre Gelenke werden geschmeidiger, und Ihr Wohlbefinden wird sich insgesamt steigern.«
»Das hört sich gut an, Herr Doktor. Dafür geht man doch gerne bis zu siebenhundertmal täglich aufs Klo. Ich freu mich jetzt schon auf den nächsten Besuch.«
»Und die Toilettenfrau bei Karstadt bestimmt auch, Herr Doyle.«
Stimmt. Inzwischen bin ich mit der Klofrau per Du. Gisela heißt sie. Eine total nette Frau. Ich krieg jetzt sogar Rabatt. Zehnmal Pinkeln, einmal frei.
Man with boobs!
Die Welt ist nicht nur eine Bandscheibe, sie ist auch im schnellen Wandel. Man geht abends ins Bett, und am nächsten Morgen wacht man auf – und plötzlich ist alles ganz anders. Nehmen wir als Beispiel mal die FDP : Abends noch eine Partei, am nächsten Tag nur noch eine Steuerberatersammlungsbewegung. Oder der 1 . FC Köln: Abends noch ein Profifußballclub, am nächsten Morgen nur noch eine Ansammlung Kölsch trinkender Schnauzbartträger. Obwohl? Das war der Verein am Abend zuvor auch schon, aber mit ein paar Kölsch trinkt man sich die verlotterte Bande halt schön. Oder der Mensch im Zimmer nebenan: Abends noch dein Sohn, am nächsten Morgen ein fremder Mann, der dich um Geld anbettelt. In einer Nacht kann viel passieren. Wie neulich …
Ich stand auf und – hatte plötzlich Brüste. Nicht dass ich grundsätzlich etwas gegen Brüste hätte! Im Gegenteil: Ich liebe Brüste, vorausgesetzt, sie sind an einer Frau angebracht. Aber am eigenen Körper? Das muss nicht sein!
»Marita«, rief ich nach meiner Gattin mit der Bitte um Mitgefühl, »ich habe Brüste!«
»In der Kommode oben rechts sind die BH s. Nimm die, die ich nach der Geburt getragen hab.«
Danke.
»Hast du mir nicht zugehört? Marita: Ich! Habe! Brüste!«
»Ich auch. Zwei sogar.«
Nochmals danke. Ein Gesicht lugte hinter dem Türrahmen hervor. Könnte mein Sohn gewesen sein, war mir aber nicht sicher.
»Mama, Papa hat wirklich Titten!«
Kein Zweifel, es war mein Sohn.
»Quentin, man sagt nicht ›Titten‹. Das ist vulgär.«
»Wieso, Mama? Papa sagt doch auch dauernd Titten.«
»Papa ist Comedian. Der darf das.«
»Geil, ein Comedian mit Titten!«
»›Geil‹ sagt man auch nicht.«
Ein Comedian mit Titten. Warum eigentlich nicht? Anke Engelke hat ja auch welche. Den Gedanken will ich jetzt allerdings
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