Die Welt ohne uns
Plutonium-239 aus dem Entlüftungsschacht der WIPP entwich.
Zu den Unwägbarkeiten gehört die Frage, wie all die verstrahlten Kunststoffe, Zellulosen und Radionukleide dort unten reagieren werden, wenn Salzwasser durch die Salzformationen sickert und der radioaktive Zerfall die Temperaturen steigen lässt. Aus diesem Grund sind in der WIPP keine radioaktiven Flüssigkeiten erlaubt, es sei denn, sie sind flüchtig, doch viele Flaschen und Dosen enthalten kontaminierte Rückstände, die bei steigenden Temperaturen verdunsten werden. Zwar hat man für den Fall, dass sich Wasserstoff und Methan bilden, Kopfraum freigelassen, doch ob der reicht und ob der Entlüftungsschacht der WIPP offen bleiben oder verstopfen wird, kann nur die Zukunft zeigen.
Zu billig zum Messen
In dem größten Kernkraftwerk der Vereinigten Staaten, der 3,8 Gigawatt erzeugenden Palo Verde Nuclear Generating Station in der Wüste westlich von Phoenix, wird Wasser durch eine kontrollierte Kernreaktion in Dampf verwandelt, der die drei größten jemals von General Electric hergestellten Turbinen antreibt. Die meisten Reaktoren weltweit funktionieren ähnlich; wie Enrico Fermis erster Atommeiler wird die Reaktion in allen Kernkraftwerken mithilfe beweglicher, neutronenabsorbierender Kadmiumstäbe gedämpft oder verstärkt.
In Palo Verdes drei separaten Reaktoren sind diese Kontrollstäbe unter fast 170000 bleistiftdünne, mehr als vier Meter lange Röhren aus einer Zirkoniumlegierung verteilt, die von einem Ende zum anderen mit Urankügelchen gefüllt sind, wobei jedes so viel Energie wie eine Tonne Kohle enthält. Die Stäbe werden zu Hunderten von Brennelementen gebündelt; das zwischen ihnen fließende Wasser kühlt das System und treibt, wenn es verdunstet, die Dampfturbinen an.
Zusammen wiegen die fast würfelförmigen Reaktorkerne, die sich vierzehn Meter tief in Becken mit türkisfarbenem Wasser befinden, mehr als 500 Tonnen. Jedes Jahr sind rund 30 Tonnen ihrer Brennelemente verbraucht. Immer noch in den Zirkoniumstäben verpackt, wird dieser nukleare Abfall von Kränen in einen Flachdachbau außerhalb der Reaktorkuppel befördert, wo er in einem Abklingbecken wie in einem riesigen Swimmingpool versenkt wird, abermals vierzehn Meter tief.
Seit Palo Verde 1986 den Betrieb aufnahm, sammeln sich dort seine verbrauchten Brennelemente, weil sie nirgends endgelagert werden können. Überall sind in den Kraftwerken die Abklingbecken erweitert worden, damit sie ein paar tausend Brennelemente mehr aufnehmen können. Insgesamt produzieren die 441 weltweit in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke pro Jahr fast 13000 Tonnen hoch radioaktiven Atommüll. In den Vereinigten Staaten haben die meisten Anlagen keinen Platz mehr in ihren Becken, daher werden die abgebrannten Stäbe, bis ein geeignetes Endlager gefunden ist, in »Trockenbehältern« mumifiziert – in betonummantelten Vakuum-Stahlkanistern. In Palo Verde, wo sie seit 2002 verwendet werden, lagert man sie senkrecht, sodass sie wie riesige Thermosflaschen aussehen.
Jedes Land plant, diese Stoffe dauerhaft unter der Erde zu lagern. Jedes Land hat auch Bürger, die der Gedanke mit Furcht und Schrecken erfüllt, dass ein Erdbeben die Grabkammern der Abfälle öffnen oder ein Lastwagen mit radioaktivem Müll auf dem Weg zu einer Nukleardeponie eine Panne haben oder entführt werden könnte.
Unterdessen modern die verbrauchten Brennelemente, einige von ihnen schon seit Jahrzehnten, in ihren Zwischenlagern vor sich hin. Merkwürdigerweise sind sie jetzt bis zu einer Million Mal radioaktiver als in frischem Zustand. Während sie sich im Reaktor befanden, verwandelten sie sich in Elemente, die schwerer sind als angereichertes Uran, beispielsweise in Plutonium- und Americiumisotope. Dieser Prozess setzt sich in den Nass- und Trockenlagern fort, wo die zwar abgebrannten, aber immer noch aktiven Stäbe Neutronen austauschen und Alpha- und Betateilchen, Gammastrahlen und Wärme emittieren.
Verschwänden die Menschen plötzlich, würde es nicht lange dauern, bis das Wasser in den Nasslagern verkochte – besonders rasch in der Wüste von Arizona. Sobald die abgebrannten Stäbe der Luft ausgesetzt sind, entzündet ihre Wärme die Ummantelung, sodass ein radioaktiver Brand ausbricht. In Palo Verde war das Gebäude zum Lagern verbrauchter Brennelemente, wie in anderen Reaktoranlagen, nur als vorläufige Lösung gedacht und hat mit seinem Dach aus Mauerwerk mehr Ähnlichkeit mit einem Supermarkt als
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