Die Welt ohne uns
mit der Reaktorkuppel aus Spannbeton. Ein solches Dach hält nicht lange, wenn darunter ein radioaktives Feuer tobt, und in einem solchen Fall entweicht eine Menge Radioaktivität. Aber das wäre noch nicht einmal das größte Problem.
Wie riesige weiße Enoki-Pilze steigen Palo Verdes große Dampfsäulen anderthalb Kilometer über die Kreosotflächen der Wüste aufjede Wolke besteht aus den fast 70000 Litern Wasser, die pro Minute bei der Kühlung der drei Spaltreaktoren Palo Verdes verdampft werden. (Da Palo Verde das einzige US-amerikanische Kraftwerk ist, das nicht an einem Fluss, einer Meeresbucht oder der Küste liegt, muss es sich mit aufbereitetem Abwasser aus Phoenix zufriedengeben.) Mit seinen 2000 Mitarbeitern, die für reibungslos funktionierende Pumpen sorgen, Dichtungen kontrollieren und Filter reinigen, ist das Kraftwerk eine Kleinstadt mit eigener Polizei und Feuerwehr.
Nehmen wir an, dieses Städtchen wird evakuiert. Die Einwohner haben genug Zeit, um alle Moderatorstäbe in die Reaktorkerne zu schieben, sodass die Reaktion zum Stillstand kommt und keine Elektrizität mehr erzeugt wird. Wenn Palo Verde unbemannt ist, wird seine Verbindung zum Stromnetz automatisch unterbrochen. Notstromaggregate mit einem Treibstoffvorrat für sieben Tage springen selbstständig an und versorgen den Kühlwasserkreislauf mit Strom, denn selbst wenn die Spaltprozesse im Kern aufhören, setzt das Uran seinen Zerfall fort und erzeugt ungefähr sieben Prozent der Wärme eines aktiven Reaktors. Diese Wärme reicht aus, um den Wasserdruck des Kühlkreislaufs zu erhöhen. Von Zeit zu Zeit muss ein Überdruckventil geöffnet werden, um überhitztes Wasser abzulassen. Sobald der Druck gefallen ist, wird das Ventil wieder geschlossen. Doch Hitze und Druck bauen sich erneut auf, das Überdruckventil öffnet sich und alles beginnt von vorn.
Irgendwann geht es nur noch darum, ob zuerst der Wasservorrat erschöpft ist, ein Ventil klemmt oder die Dieselpumpen ausfallen. Auf jeden Fall wird das Kühlwasser nicht ewig aufgefüllt werden. Zu diesem Zeitpunkt strahlt der Uranbrennstoff noch; er braucht schließlich 704 Millionen Jahre, um die Hälfte seiner Radioaktivität zu verlieren. Unaufhaltsam verkocht er die Wasserdecke, unter der er ruht. Nach höchstens einigen Wochen liegt der obere Teil des Reaktorkerns frei und die Kernschmelze beginnt.
Wenn alle Menschen verschwinden, während das Kraftwerk noch am Netz ist, arbeitet es weiter, bis einer seiner vielen tausend Bauteile ausfällt, die täglich kontrolliert und gewartet werden. Ein Ausfall würde automatisch zum Abschalten führen; wenn nicht, könnte es sehr rasch zur Kernschmelze kommen. Etwas Ähnliches geschah 1979 im Kraftwerk Three Mile Island in Pennsylvania, wo sich ein Überdruckventil nicht wieder schloss. Innerhalb von zwei Stunden und 15 Minuten lag der obere Teil des Kerns frei und verwandelte sich in glühende Lava, die auf den Boden des Reaktorkessels hinabfloss und sich durch 15 Zentimeter Kohlenstoffstahl hindurchzubrennen begann.
Ein Drittel hatte sie schon geschafft, als jemand den Vorgang bemerkte. Hätte niemand den Störfall entdeckt, hätte sich die Lava mit dem etwa einen Meter hoch auf dem Fundament des Reaktorgebäudes stehenden Kühlwasser gemischt, das aus dem klemmenden Ventil geflossen war, und die etwa 3000 Grad heiße Masse wäre explodiert.
Bei Kernreaktoren ist das spaltbare Material weit weniger konzentriert als in Kernwaffen, daher wäre es eine Dampfund keine Nuklearexplosion. Nun sind aber Reaktorkuppeln nicht für Dampfexplosionen konstruiert; wenn die Türen und Nähte gesprengt werden, strömt Luft ins Innere und entzündet augenblicklich alle brennbaren Dinge.
Wenn das Ende der achtzehnmonatigen Periode naht, nach der die Brennstäbe des Reaktors auszuwechseln sind, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze, weil Monate des Zerfalls eine beträchtliche Wärme erzeugt haben. Sind die Brennelemente noch frischer, dürfte das Ergebnis weniger spektakulär sein, allerdings letztlich doch genauso tödlich. Geringere Hitze könnte ein Feuer anstelle einer Kernschmelze hervorrufen. Sollten die Verbrennungsgase die Brennstäbe zerstören, bevor sie flüssig geworden sind, würden sich die Urankügelchen in alle Richtungen zerstreuen und ihre Radioaktivität im Inneren der raucherfüllten Reaktorkuppel freisetzen.
Reaktorkuppeln sind nicht völlig luftdicht. Wenn der Strom abgeschaltet ist und die Kühlsysteme nicht mehr
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