Die Welt ohne uns
Geschichte errichtet hatte: den Versuch, das große Geheimnis zu lüften, welches das Verschwinden der Maya-Kultur umgibt.
Sind wir überhaupt in der Lage, uns eine Welt ohne uns vorzustellen? Phantasien von Außerirdischen mit Todesstrahlen sind genau das: Phantasien. Der Gedanke, dass unsere große, allgegenwärtige Zivilisation wirklich enden könnte, fällt uns ebenso schwer wie der Versuch, uns die Grenzen des Universums auszumalen.
Doch die Maya waren real. Ihre Welt schien für die Ewigkeit bestimmt – in ihrer Blütezeit wirkte sie noch weit fester gefügt als die unsere. Mindestens 1600 Jahre lang führten sechs Millionen Maya ein Dasein, das in gewisser Weise dem Leben in Südkalifornien ähnelte – ein Ballungsraum blühender Stadtstaaten mit kurzen Freiflächen zwischen ineinander übergehenden Vorstädten auf einer Tiefebene, die heute den Norden von Guatemala, Belize und die mexikanische Halbinsel Yucatán umfasst. Ihre imposante Architektur, ihre Errungenschaften auf dem Gebiet der Astronomie, Mathematik und Literatur stellten die Hervorbringungen ihrer europäischen Zeitgenossen in den Schatten. Ebenso verblüffend, wenn auch weit weniger verstanden, ist der Umstand, dass so viele Menschen einen tropischen Regenwald bewohnen konnten. In diesem empfindlichen Ökosystem, das heute von einer relativ kleinen Zahl gieriger Landbesetzer rasch verwüstet wird, haben sie jahrhundertelang ihre Nahrung angebaut und ihre Kinder großgezogen.
Noch mehr erstaunte die Archäologen indessen der spektakuläre und plötzliche Zusammenbruch der Maya-Kultur. Im 8. Jahrhundert n. Chr. begann der Untergang der Maya-Zivilisation im Tiefland und war nach nur hundert Jahren abgeschlossen. Auf Yucatán sind nur spärliche Reste der Maya-Bevölkerung übrig geblieben. Die Provinz Petén im Norden Guatemalas war praktisch menschenleer. Die Vegetation des Regenwaldes nahm die Ballspielplätze und andere Freiflächen in Besitz und überwucherte die hohen Pyramiden. Es sollte tausend Jahre dauern, bis die Welt wieder Kenntnis von ihnen nahm.
Doch die Erde hält ihre Geister fest, sogar die ganzer Nationen. Der Archäologe Arthur Demarest, ein untersetzter Cajun aus Louisiana mit dickem Schnurrbart, lehnte einen Lehrstuhl in Harvard ab, weil die Vanderbilt University ihm anbot, sich an den Ausgrabungen hier zu beteiligen. Bei Feldstudien für seine Promotion war er verzweifelt bemüht, in El Salvador wenigstens einen Teil der archäologischen Belege zu retten, die beim Bau eines Staudamms zutage kamen, der Tausende von Menschen zur Umsiedlung zwang und viele von ihnen in den Widerstand drängte. Als drei seiner Arbeiter als Terroristen angeklagt wurden, setzte er sich bei den Behörden für sie ein, bekam sie frei, konnte aber nicht verhindern, dass sie später dennoch ermordet wurden.
Während seiner ersten Jahre in Guatemala bekriegten sich Guerilleros und Regierungstruppen nur wenige Kilometer von seiner Grabungsstelle entfernt. Unter ihren Schusswechseln litten Menschen, deren Sprachen auf jene Hieroglyphen zurückgingen, die Demarest und sein Team entschlüsseln wollten.
Er fährt sich durch das dichte schwarze Haar. »Hier hätte es Indiana Jones keine fünf Sekunden ausgehalten. In der Archäologie geht es nicht um prächtige Schätze, sondern um ihren Kontext. Wir sind ein Teil des Kontextes. Es sind unsere Arbeiter, deren Felder brennen, deren Kinder, die Malaria haben. Wir wollen eine antike Kultur erforschen und erfahren am Ende etwas über die Gegenwart.«
Beim Licht einer Gaslampe und dem Lärm der Brüllaffen schreibt er die ganze schwüle Nacht hindurch und rekonstruiert, wie die Maya im Laufe von fast zwei Jahrtausenden eine Methode entwickelten, Konflikte zwischen Nationen zu lösen, ohne dass sich ihre Gesellschaften dabei wechselseitig zugrunde richteten. Doch dann ging etwas schief. Man hat Hungersnöte, Dürreperioden, Epidemien, Überbevölkerung und Umweltsünden für den Untergang der Maya verantwortlich gemacht – doch keiner dieser Gründe kann eine so umfassende Vernichtung plausibel machen. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Invasion einer fremden Macht. Bei den Maya, die immer wieder als ein beispielhaft beständiges und friedliches Volk gepriesen werden, ist kaum vorstellbar, dass sie zu viel wollten und an der eigenen Gier zugrunde gingen.
Doch im schwülheißen Petén scheint genau das geschehen zu sein – und der Weg in den Untergang kommt einem seltsam bekannt vor.
Der Pfad vom
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