Die Welt ohne uns
nimmt. Die meisten von ihnen suchen sich nicht einfach kostenloses Land anzueignen, sondern kehren wie die Schwalben zurück, weil sie früher hier zu Hause waren. Verseucht oder nicht, das Land ist ihnen teuer und unersetzlich und sogar das Risiko einer verkürzten Lebensspanne nehmen sie in Kauf: Es ist ihre Heimat.
16 Unsere geologischen Spuren
Eine unserer umfangreichsten und vermutlich dauerhaftesten Hinterlassenschaften liegt fast 3000 Kilometer nordöstlich von Yellowknife in den kanadischen Northwest Territories. Blickt man aus dem Flugzeug hinunter, sieht man ein sehr rundes Loch, 800 Meter breit und 300 Meter tief. Es gibt viele runde Löcher in der Gegend. Dieses hier ist das einzige trockene.
In hundert Jahren könnten allerdings auch die übrigen trockengefallen sein. Nördlich des 60. Breitengrads besitzt Kanada heute mehr Seen als die ganze restliche Welt. Fast die Hälfte der Northwest Territories besteht aus Wasser. Hier hobelten die eiszeitlichen Gletscher Vertiefungen aus, als sie sich zurückzogen, und füllten diese Erdkessel mit dem fossilen Wasser geschmolzener Eisberge, sodass heute zahllose Spiegel in der Tundra funkeln. Da aber jetzt der Permafrost um diese Kessel herum auftaut, sickert das Gletscherwasser, das Jahrtausende im gefrorenen Boden festgehalten wurde, langsam davon.
Wenn der Permafrost allzu sehr zurückgeht, taut tief in der Erde verborgenes Eis auf, das kristalline Käfige um Methanmoleküle bildet. Man schätzt diese gefrorenen Methanvorkommen, sogenannte Klathrate, auf 400 Billiarden Tonnen; sie liegen viele hundert oder tausend Meter unter der Tundra und sind in noch größeren Mengen unter den Weltmeeren zu finden. Dieses tiefgefrorene Erdgas, dessen Menge nach Schätzung der Wissenschaftler allen herkömmlichen Gas- und Erdölvorkommen mindestens gleichkommt, ist verlockend und erschreckend zugleich. Da es so verstreut ist, weiß niemand, wie man es rentabel fördern könnte. Wenn aber diese Menge Methan auf einmal frei würde, weil seine Eiskäfige schmölzen, könnte dadurch die globale Erwärmung auf ein Niveau angehoben werden, das die Erde seit dem Massenaussterben im Perm vor 250 Millionen Jahren nicht mehr erlebt hat.
Bis eine kostengünstigere und sauberere Lösung zur Verfügung steht, wird die einzige noch reichlich fließende Quelle für fossilen Brennstoff, auf die wir zählen können, eine noch tiefere Spur auf der Erde hinterlassen als ein Diamantentagebau – oder auch eine Kupfer-, Eisen- oder Uranmine. Wenn diese Löcher sich schon lange wieder mit Wasser oder taubem Gestein gefüllt haben, könnte dieses Vermächtnis durchaus einige Millionen Jahre überdauern.
Anhöhen
»Es lässt sich nur von oben würdigen, falls man das so sagen darf«, sagt Susan Lapis, eine fröhliche, rothaarige Pilotin, die ehrenamtlich für die Non-Profit-Organisation South-Wings in North Carolina tätig ist. Aus dem Fenster ihrer einmotorigen rotweißblauen Cessna 182 blicken wir auf eine Welt hinab, die so glatt gehobelt ist, wie es einst die Landschaften unter anderthalb Kilometer Gletscher waren – nur waren dieses Mal wir der Gletscher.
Nicht nur hier in West Virginia, auch in Virginia, Kentucky und Tennessee sehen mehrere Millionen Hektar Appalachen ebenso verwüstet aus, weil sie von Kohleunternehmen abrasiert wurden, die in den siebziger Jahren ein Verfahren entdeckten, das kostengünstiger war als der Abbau unter und sogar über Tage: Man pulverisierte einfach das obere Drittel eines Berges, spülte die Kohle mit einigen Millionen Litern Wasser heraus, schob den Rest beiseite und nahm die nächste Sprengung vor.
Noch nicht einmal der Kahlschlag im Amazonasbecken wirkt so schockierend wie diese Gebirgsamputation. Wohin man blickt, ist alles einfach verschwunden. Gitter aus weißen Punkten – die nächsten Dynamitladungen – zeichnen die nackten Plateaus, wo einst grüne Berghänge waren. Der Kohlebedarf ist so ungeheuerlich – alle zwei Sekunden werden 100 Tonnen gefördert –, dass oft nicht einmal Zeit zum Abholzen blieb: Eichen, Hickorybäume, Magnolien, Amerikanische Traubenkirschbäume hat man mit Bulldozern in Senken geschoben, um sie später unter einem Berg von Gesteinsschutt zu begraben – dem »Abraum«.
Allein in West Virginia sind in solchen Senken auch Bäche in einer Gesamtlänge von 1500 Kilometern begraben worden. Wasser findet natürlich immer einen Weg, doch wenn es sich während der nächsten Jahrtausende durch das
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