Die Welt ohne uns
überall, was heißen soll, im Internet, mit Websites in elf Sprachen. Auf Veranstaltungen zum Tag der Erde und bei Umweltkonferenzen hängt Knight Tabellen auf, die den Vorhersagen der Vereinten Nationen recht geben, nach denen weltweit Bevölkerungswachstum und Geburtenraten bis 2050 zurückgehen werden – doch der Clou ist das dritte Diagramm, welches zeigt, dass die absoluten Zahlen weiterhin ansteigen.
»Wir haben zu viele fortpflanzungsfähige und fortpflanzungswillige Menschen. China hat seine Fortpflanzungsrate auf 1,3 Prozent heruntergeschraubt, verzeichnet aber trotzdem noch einen jährlichen Zuwachs von zehn Millionen Menschen pro Jahr. Hungersnöte, Krankheiten und Kriege halten reiche Ernte wie eh und je, können aber mit unserem Bevölkerungswachstum beim besten Willen nicht Schritt halten.«
Unter dem Motto »Auf dass wir lange leben und aussterben« möchte diese Bewegung der Menschheit das qualvolle Massensterben ersparen, zu dem es kommen wird, wenn es, wie Knight prophezeit, zur unumstößlichen Gewissheit wird, dass es naiv war zu meinen, ungehemmtes Wachstum und Ressourcenknappheit wären vereinbar. Statt abzuwarten, bis die unvermeidlichen Verteilungskriege und Hungersnöte eintreten, sollen wir, wenn es nach VHEMT geht, die Menschheit ganz allmählich zur ewigen Ruhe betten.
»Nehmen wir an, alle Menschen würden sich auf einen Verzicht auf Fortpflanzung verständigen. Oder darauf, ein Virus auf die Menschheit loszulassen, das alle menschlichen Spermien wirkunglos machte. Tragisch wäre das sicherlich für die Paare, die gern ein Kind bekommen möchten. Andererseits gäbe es nach fünf Jahren auch keine Kinder unter fünf mehr, die elend sterben müssten, und das Los aller noch lebenden Kinder würde sich verbessern, weil sie mehr geschätzt würden.«
Nach Knights Meinung gewönne das Leben der Menschheit umso mehr an Qualität, je näher es seinem Ende käme. Es gäbe mehr als genug zu essen und auch die anderen Ressourcen, etwa Wasser, würden wieder ausreichen. Die leer gefischten Meere würden sich wieder auffüllen, desgleichen die Wälder und Feuchtgebiete, weil keine neuen Wohngebäude gebraucht würden.
»Ohne Verteilungskonflikte würden wir vermutlich damit aufhören, unsere Leben in Kriegen zu vergeuden.« Wie Manager im Ruhestand, die bei der Gartenarbeit plötzlich ihre innere Gelassenheit finden, würden wir, wenn Knight recht hat, unsere verbleibende Zeit damit verbringen, eine immer mehr in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehrende Welt von dem hässlichen und nutzlosen Schund zu befreien, für den wir einst die lebendige Schönheit der Natur eingetauscht haben.
In einem Zeitalter, in dem das allmähliche Verschwinden der Natur parallel mit dem Aufstieg eines Phänomens abläuft, das man als virtuelle Realität bezeichnet, sieht sich VHEMT nicht nur von den Menschen abgelehnt, welche die Verheißung eines besseren Lebens durch den Untergang der Menschheit für geisteskrank halten, sondern auch von einer Gruppe namhafter Theoretiker und Forscher, die das Aussterben möglicherweise für einen wichtigen Entwicklungsschritt von Homo sapiens halten. Diese Transhumanisten, wie sie sich selbst nennen, hoffen, einmal den virtuellen Raum zu kolonisieren, indem sie ihren Geist in Schaltkreise hochladen, die Gehirn und Geist des Menschen in mancherlei Hinsicht überlegen wären (nicht zuletzt durch Unsterblichkeit). Dank Selbstoptimierung der Computer, reichlich Silizium, neuer Möglichkeiten durch modulare Speicher und geeigneter Peripheriegeräte würde das Aussterben der Menschheit zu einem bloßen Abwerfen der sterblichen Hülle geraten, über die unser technischer Verstand endlich hinausgewachsen ist.
Das größte Hindernis für Roboter und Computer auf dem Sprung von bloßen Objekten zu Lebensformen sei, so wird häufig vorgebracht, dass bislang noch niemand eine Maschine gebaut habe, die sich ihrer selbst bewusst sei: Ohne zu fühlen ist ein Supercomputer vielleicht in der Lage, die kompliziertesten Berechnungen für uns anzustellen, nicht aber, seinen Platz in der Welt zu erkennen. Viel schwerer wiegt jedoch die Einschränkung, dass keine Maschine ohne menschliche Wartung unbegrenzt arbeiten kann. Selbst Geräte ohne bewegliche Teile geben den Geist auf und selbstreparierende Software stürzt ab wie jedes andere Programm. Die Rettung in Form von Sicherheitskopien könnte in eine Welt führen, in der Roboter verzweifelt versuchen, durch pausenloses Selbstklonen dem
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