Die Welt ohne uns
wärmer wird. Sobald die Brücken nicht mehr gestrichen werden, füllen sich die Fugen nicht nur mit Schutt, sondern auch mit Rost, der weit mehr Platz beansprucht als das ursprüngliche Metall.
»Im Sommer wird die Brücke größer, ob es uns nun gefällt oder nicht«, sagt Del Tufo. »Wenn die Dehnungsfuge verstopft ist, sucht sich die Ausdehnung das schwächste Glied – etwa eine Stelle, wo zwei verschiedene Materialien miteinander verbunden sind.« Er deutet auf einen Punkt, wo vier Stahlträger im Widerlager aus Beton enden. »Dort zum Beispiel. Der Beton könnte reißen, wo der Träger mit der Auflage verschraubt ist. Oder nach einigen Jahren gibt der Bolzen unter den Scherkräften nach. Schließlich könnte der Träger sich selbstständig machen und abrutschen.«
Jede Verbindung ist anfällig. Rost, der sich zwischen zwei verschraubten Stahlplatten bildet, übt derart starke Kräfte aus, dass sich entweder die Platten verbiegen oder die Bolzen reißen. Bogenbrücken wie die Bayonne-Bridge oder die Eisenbahnbrücke Hell's Gate Bridge in Manhattan haben den höchsten Sicherheitsfaktor überhaupt. Sie könnten die nächsten tausend Jahre halten, obwohl Erdbeben entlang einer von mehreren Verwerfungen der Küstenebene diesen Zeitraum unter Umständen verkürzen. Wahrscheinlich hätten sie sogar länger Bestand als die vierzehn Stahlbetontunnel unter dem East River. Würde irgendwo die Verbindung zwischen zweien ihrer Segmente reißen, strömte der Atlantik hinein. Die Hänge- und Gitterbrücken für den Straßenverkehr halten nur zwei bis drei Jahrhunderte, bis ihre Nieten und Schrauben brechen und ganze Teile ins Wasser fallen.
Bis dahin werden weitere Kojoten den Spuren ihrer kühnen Vorgänger gefolgt sein, die es in den Central Park geschafft haben. Hirsche, Bären und schließlich Wölfe, die heute bereits von Kanada nach Neuengland zurückgekehrt sind, ebenfalls. Zu dem Zeitpunkt, da die meisten Brücken eingestürzt sind, haben auch die neueren Gebäude Manhattans schwere Schäden erlitten, denn überall dort, wo ein Riss bis zu den Stahlträgern führt, rosten diese, dehnen sich aus und sprengen die sie umgebende Betonschicht. Ältere Steingebäude wie die Grand Central Station werden – vor allem wenn kein saurer Regen mehr an den Marmorverkleidungen frisst – jeden modernen Glaskasten überdauern.
Von den Ruinen der Wolkenkratzer wird das Echo der Balzgesänge zurückgeworfen, die die Frösche in Manhattans Flüssen singen. Dort haben sich inzwischen auch nordamerikanische Flussheringe und Muscheln angesiedelt, die Seemöwen im Flug verloren haben. Heringe und Alsen sind in den Hudson zurückgekehrt, haben allerdings einige Generationen gebraucht, um sich an die Radioaktivität zu gewöhnen, die aus dem 55 Kilometer nördlich vom Times Square gelegenen Kernkraftwerk Indian Point entweicht, nachdem die Betonschale zerfallen ist. Es fehlt jedoch fast die gesamte Fauna, die sich menschlichen Lebensverhältnissen angepasst hat. Die angeblich unverwüstliche Kakerlake, ein Import aus den Tropen, ist schon lange in den ungeheizten Wohnblocks erfroren. Ohne Abfall verhungern die Ratten oder fallen den Raubvögeln zum Opfer, die in den ausgebrannten Wolkenkratzern nisten.
Steigende Wasserstände, Gezeiten und Salzkorrosion haben die befestigte Uferlinie, die New Yorks fünf Stadtbezirke umgibt, durch kleine Buchten und Strände ersetzt. Ohne Bagger sind die Teiche und das Wasserreservoir des Central Park wieder versumpft. Da es keine grasenden Tiere gibt – es sei denn, den Pferden der Parkkutschen und der berittenen Polizei ist es gelungen, in der Wildnis zu überleben und sich fortzupflanzen –, ist das Gras im Central Park eingegangen. An seiner Stelle ist ein kräftiger Wald entstanden, der sich in ehemalige Straßen und brachliegende Grundstücke ausbreitet. Kojoten, Wölfe, Rotfüchse und Rotluchse sorgen für ein ökologisches Gleichgewicht zwischen Eichhörnchen und jenen Bäumen, die zäh genug sind, um das von uns in die Böden eingebrachte Blei zu überleben. Nach fünfhundert Jahren herrschen auch bei einem wärmer werdenden Klima die Eichen und Buchen vor.
Schon lange vorher haben die wild lebenden Raubtiere den letzten Nachkommen der Haushunde den Garaus gemacht, allerdings hat eine gerissene Population von verwilderten Hauskatzen überlebt, die sich von Vögeln ernährt. Elche und Bären schwimmen durch den breiter gewordenen Harlem River, um sich über jene Beerenarten herzumachen,
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