Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
Vom Netzwerk:
Siedlung als Çatal Höyük birgt. Unter den Relikten befanden sich 10000 Jahre alte Steinäxte und Obsidianwerkzeuge, mit denen sich Tuff bearbeiten ließ. »Die Untergrundstädte sind vorgeschichtlich«, sagt er. Das erkläre die grobe Unregelmäßigkeit der oberen Kammern im Vergleich zur exakten rechteckigen Gestaltung der unteren Stockwerke. »Jeder, der später kam, grub tiefer.«
    Es war, als könnten sie nicht innehalten: eine erobernde Kultur nach der anderen erkannte die Vorzüge einer verborgenen unterirdischen Welt. Die Untergrundstädte wurden von Fackeln erhellt, häufig auch, wie Gülyaz entdeckte, von Leinöllampen, die zugleich genügend Wärme abgaben, um für angenehme Temperaturen zu sorgen. Vermutlich war die Temperatur überhaupt der ursprüngliche Anlass, diese Höhlen zu graben – man suchte Schutz vor der Winterkälte. Doch die einander ablösenden Wellen von Hethitern, Assyrern, Römern, Persern, Byzantinern, Seldschuken und Christen, die diese Höhlen entdeckten, erweiterten und vertieften sie vor allem aus einem Grund: der Verteidigung wegen. Die letzten beiden Gruppen bauten die beiden ursprünglich angelegten Kammern sogar weit genug aus, um unterirdische Ställe für ihre Pferde zu schaffen.
    Der Geruch des Tuffs, der Kappadokien durchzieht – kühl, lehmig, mit einer Spur Menthol – nimmt unter der Erde zu. Das Material ist so leicht formbar, dass sich überall Nischen aushöhlen ließen, wo Lampenlicht erforderlich war, andererseits aber auch so fest, dass die Türkei 1990 für den Fall, dass sich der Golfkrieg ausweitete, in Erwägung zog, diese unterirdischen Städte als Bunker zu verwenden.
    In der unterirdischen Stadt Derinkuyu befanden sich direkt unter den Ställen Verschlage für das Viehfutter. Darunter lag eine Gemeinschaftsküche. Die Tonöfen standen unter Löchern in der drei Meter hohen Decke, die den Rauch über Abzugskanäle im Fels zu zwei Kilometer weit entfernten Kaminen fortleiteten, sodass Feinde nicht erkennen konnten, woher er kam. Aus dem gleichen Grund waren auch die Belüftungsschächte schräg angelegt.
    Weitläufige Vorratsräume und unzählige Tontöpfe und -krüge lassen darauf schließen, dass Tausende von Menschen Monate hier unten verbrachten, ohne die Sonne zu erblicken. Über senkrechte Kommunikationsschächte konnte man mit Bewohnern auf allen Ebenen sprechen. Das Wasser lieferten unterirdische Quellen, unterirdische Entwässerungskanäle verhinderten Überflutungen. Ein Teil des Wassers wurde über Röhren im Tuff zu unterirdischen Brauereien und Weinkellereien geleitet, die mit Gärkesseln aus Tuff und Mahlwerken aus Basalt versehen waren.
    Vermutlich waren diese alkoholischen Getränke erforderlich, um die Beklemmung zu lindern, die beim Klettern auf dem Weg zwischen verschiedenen Ebenen über Stiegen entstand, die absichtlich so niedrig, eng und gewunden angelegt waren, dass Eindringlinge nur langsam, gebeugt und im Gänsemarsch vorankommen konnten. Da sie nur einzeln aus diesen Treppengängen hervortreten konnten, konnten sie leicht niedergemacht werden – wenn sie überhaupt so weit kamen. Treppen und Rampen führten alle zehn Meter auf Absätze mit steinzeitlichen Schiebetüren – vom Boden bis zur Decke reichende, eine halbe Tonne schwere Steinräder –, die hinausgerollt werden konnten, um einen Gang zu versperren. Zwischen zwei solchen Rädern gefangen, mussten Eindringlinge schon bald erkennen, dass die Löcher über ihrem Kopf keine Luftschächte waren, sondern Rohre, aus denen man ihnen heißes Öl auf die Köpfe goss.
    Weitere drei Stockwerke unterhalb dieser Festung befindet sich ein Raum mit gewölbter Decke und Bänken, die einem Pult gegenüberstehen: eine Schule. Weiter unten folgen mehrere Ebenen mit Wohnräumen, durch unterirdische Straßen verbunden, die sich über mehrere Quadratkilometer verzweigen und kreuzen. Doppelgrotten waren für Erwachsene mit Kindern bestimmt. Sogar Spielzimmer gibt es – mit stockdunklen Tunneln, deren vielfache Windungen zum Ausgangspunkt zurückführen.
    Immer weiter geht es hinab: Auf der achten Sohle findet man in Derinkuyu zwei große, hohe Räume, die in Kreuzform angeordnet sind. Obwohl sich infolge der ständigen Feuchtigkeit keine Fresken oder Gemälde gehalten haben, dürfte es sich um eine Kirche handeln, in der sich Christen, die aus Antiochia und Palästina emigriert waren, vor arabischen Eroberern versteckt haben.
    Darunter liegt ein winziger, würfelförmiger Raum, ein

Weitere Kostenlose Bücher