Die Welt ohne uns
Straßenverkehr in Grenzen gehalten wird, könnten sie sich so ungehemmt vermehren, dass die gesamte Biomasse der Menschheit – die nach Schätzung des namhaften Biologen E. O. Wilson kaum den Grand Canyon füllen würde – nicht lange vermisst würde.
Gleichzeitig würden alle Stechmücken, die unsere Abwesenheit doch als schmerzliche Lücke empfänden, durch zwei unserer Vermächtnisse getröstet. Erstens würden wir nicht mehr versuchen, sie auszurotten. Die Menschheit verfolgte die Mücken schon lange vor der Erfindung der Pestizide, indem sie Öl über ihre Brutstätten auf den Oberflächen von Seen, Meeresbuchten und Teichen ausgoss. Dieser Larvenmord, bei dem der Mückenbrut die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten wird, erfreut sich noch immer großer Beliebtheit, wie auch alle anderen Formen der chemischen Kriegsführung gegen Stechmücken. Sie reichen von Hormonen, welche die Larven daran hindern, zur adulten Form zu reifen, bis hin zu flächendeckender Besprühung mit DDT aus der Luft, einem Pestizid, das nicht in allen Teilen der Welt verboten ist und besonders in den malariaverseuchten Tropen noch vielfach verwendet wird. Nach dem Verschwinden der Menschheit werden Milliarden der kleinen Summer leben, die sonst vorzeitig verendet wären, wovon auch viele Süßwasserfische profitieren werden, in deren Nahrungsketten Mückeneier und -larven wichtige Glieder bilden.
Die anderen Nutznießer werden die Blumen sein: Wenn Stechmücken kein Blut saugen, schlürfen sie Nektar – die Hauptnahrung aller männlichen Mücken, obwohl ihn auch die stärker am Blut interessierten weiblichen Tiere zu schätzen wissen. Das macht die Mücken zu Bestäubern und so wird die Welt nach uns eine neue Blütezeit erleben.
Der zweite Vorteil, den die Stechmücken aus unserem Verschwinden zögen, wäre die Rückgewinnung unseres traditionellen Lebensraums – Wasserraums, um genau zu sein. Allein in den Vereinigten Staaten haben Stechmücken seit der Gründung im Jahr 1776 von ihrem wichtigsten Bruthabitat – den Feuchtgebieten – eine Fläche verloren, die doppelt so groß ist wie Kalifornien. Verwandeln Sie diese Fläche in Gedanken wieder in Sumpfland und Sie bekommen eine ungefähre Vorstellung von der künftigen Entwicklung. (Das Populationswachstum der Stechmücken müsste mit einer entsprechenden Vermehrung ihrer Fressfeinde abgeglichen werden – Fischen, Kröten und Fröschen –, obwohl wir den Insekten gegenüber den beiden letztgenannten Arten einen weiteren Vorteil verschafft haben: Es ist unklar, wie viele Amphibien den Chytridpilz überleben werden, eine Pilzart, die durch den internationalen Handel mit Laborfröschen verbreitet wurde. Durch steigende Temperaturen beflügelt, hat er weltweit schon Hunderte von Arten vernichtet.)
Habitat oder nicht, wie jeder weiß, der auf einem trockengelegten und als Bauland erschlossenen ehemaligen Sumpf wohnt, egal, ob im Erdinger Moos oder in einem Slum von Nairobi, Stechmücken wissen sich immer zu helfen. Selbst die mit Tau gefüllte Kunststoffkappe einer Flasche kann als Brutstätte für ein paar Stechmückeneier dienen. Bis Asphaltund Betonpflaster zerfallen sind und die Feuchtgebiete ihr angestammtes Terrain zurückerobert haben, werden die Mücken mit Pfützen und verstopften Gullys vorliebnehmen. Und sie können sich darauf verlassen, dass eine ihrer bevorzugten, von Menschenhand geschaffenen Kinderstuben mindestens noch hundert Jahre erhalten bleibt, hier und da aber auch über viel längere Zeiträume noch eine gewisse Rolle spielen wird: ausrangierte Autoreifen.
Gummi gehört zu den Polymeren, die man als Elastomere bezeichnet. Die natürlich vorkommenden Elastomere, etwa der Milchsaft (Latex) des ursprünglich im Amazonasbecken beheimateten Kautschukbaums, sind logischerweise biologisch abbaubar. Die Neigung von natürlichem Latex, bei hohen Temperaturen klebrig zu werden und bei Kälte zu versteifen oder sogar zu brechen, beschränkte seine praktische Verwertbarkeit, bis im Jahr 1839 ein Eisenwarenvertreter aus Massachusetts versuchte, ihn mit Schwefel zu mischen. Als er versehentlich einige Tropfen seiner Mischung auf eine Herdplatte fallen ließ und sie nicht schmolzen, wurde Charles Goodyear klar, dass er etwas geschaffen hatte, worauf die Natur noch nicht gekommen war.
Bis auf den heutigen Tag hat die Natur auch noch keinen Mikroorganismus hervorgebracht, der diesen Stoff frisst. Goodyears Prozess, die sogenannte Vulkanisation, verbindet die langen
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