Die Welt ohne uns
wie PAKs und Dioxine, zwei Stofffamilien, die in der Natur bei Vulkanausbrüchen und Waldbränden emittiert werden, plötzlich keine Nebenrolle mehr in den Boden- und Pflanzenproben spielten, sondern ihre Konzentration im Laufe der Jahrzehnte immer mehr zunahm.
Wenn es sich bei den Besuchern um kohlenstoffbasierte Lebewesen wie uns handelt, treten sie möglicherweise einen Schritt zurück, denn PAKs und Dioxine können für das Nervensystem und andere Organe tödlich sein. PAKs gelangten während des 20. Jahrhunderts mit den Abgas wölken von Automobilen und Kohlekraftwerken in die Umwelt; auch im stechenden Geruch frischen Asphalts sind sie vorhanden. In Rothamsted wurden sie wie überall auf Bauernhöfen absichtlich eingeführt: in Herbiziden und Pestiziden.
Dioxine allerdings entstanden unbeabsichtigt: Sie sind Nebenprodukte, die bei der Chlorierung von Kohlenwasserstoffen entstehen: Das Ergebnis ist unumkehrbar und verheerend. Neben ihrer Rolle als Störfaktoren des endokrinen Systems, wo sie sich auf die Geschlechtseindeutigkeit auswirken, war ihre skandalöseste Anwendung vor ihrem Verbot jedoch das berüchtigte Agent Orange, ein Mittel, das den gesamten vietnamesischen Regenwald entlaubte, um Verstecke und Versorgungswege des Gegners aufzudecken. Von 1964 bis 1971 sprühten die Vereinigten Staaten rund 45 Millionen Liter Agent Orange über Vietnam aus. Vierzig Jahre danach sind Wälder, die hohe Dosen abbekommen haben, noch immer nicht wieder nachgewachsen. An ihrer Stelle sprießt das Japanische Blutgras, das als eines der schlimmsten Unkräuter der Welt gilt. Obwohl es ständig abgebrannt wird, wuchert es immer von Neuem und macht alle Versuche zunichte, es durch Bambus, Ananasstauden, Bananenstauden oder Teakbäume zu ersetzen.
Dioxine konzentrieren sich in Sedimenten, weshalb sie in Rothamsteds Klärschlammproben zutage treten. (Kommunaler Klärschlamm erschien den Verantwortlichen seit 1990 zu giftig, um ihn in der Nordsee zu entsorgen; stattdessen wird er als Kunstdünger auf Europas Äckern ausgebracht.)
Werden sich die künftigen Besucher bei der Sichtung von Rothamsteds außergewöhnlichem Archiv fragen, ob wir etwa versucht haben, uns selbst umzubringen? Vielleicht sehen sie einen Hoffnungsschimmer in dem Umstand, dass die Bleiablagerungen im Boden seit Anfang der siebziger Jahre deutlich zurückgingen. Gleichzeitig aber traten andere Metalle in stärkerem Maße auf. Besonders im archivierten Klärschlamm werden sie all die schädlichen Schwergewichte entdecken: Blei, Kadmium, Kupfer, Quecksilber, Nickel, Kobalt, Vanadium und Arsen, aber auch leichtere wie Zink und Aluminium.
Die Chemie
Dr. Steven McGrath sitzt vor seinem Computer und blickt durch seine Lesebrille konzentriert auf eine Karte Großbritanniens. Sie verzeichnet farbig markiert Substanzen, die auf einem idealen Planeten – oder einem, der die Chance bekommt, noch einmal von vorn anzufangen – nicht vorkommen sollten, schon gar nicht in Pflanzen, die gern von Tieren gefressen werden. Er deutet auf einen gelben Eintrag.
»Das hier ist beispielsweise die Netto-Zinkakkumulation seit 1843. Niemand außer uns kann diese Trends erkennen«, fügt er mit sichtlichem Stolz hinzu, »weil wir das älteste Versuchsarchiv der Welt haben.«
Dank der versiegelten Proben eines Winterweizenfelds namens Broadbalk, eines von Rothamsteds ältesten, weiß man, dass sich die ursprünglich 35 Millionstel Teile (ppm) Zink im Boden fast verdoppelt haben. »Das kommt aus der Atmosphäre, denn unsere Kontrollfelder enthalten keine Zusätze – keinen Kunstdünger, weder Mist noch Gülle, noch Klärschlamm. Trotzdem ist die Konzentration um 25ppm gestiegen.«
Die Versuchsfelder jedoch, die ursprünglich ebenfalls 35ppm Zink aufwiesen, liegen jetzt bei 91ppm. Zu den 25 ppm aus industriellen Luftemissionen muss noch ein weiterer Faktor hinzukommen, der 31 ppm beisteuert.
»Stallmist. Kühe und Schafe bekommen aus Gesundheitsgründen Zink und Kupfer in ihr Futter. In 160 Jahren hat das den Zinkgehalt im Boden fast verdoppelt.«
Wenn die Menschheit verschwindet, hat auch der zinkhaltige Rauch aus Fabriken ein Ende und niemand wird mehr mineralische Zusatzstoffe in Viehfutter mischen. Doch McGrath erwartet, dass selbst in einer Welt ohne Menschen Metalle, die in den Boden gelangt sind, dort noch lange verweilen werden. Wie lange der Regen braucht, um sie herauszuwaschen und die Böden wieder in ihren vorindustriellen Zustand zurückzuversetzen,
Weitere Kostenlose Bücher