Die Welt ohne uns
wuchsen. Sie bewahrten die Düngemittel jedes Jahres auf, einschließlich des Naturdungs. Ihre Nachfolger füllten sogar den Klärschlamm in Flaschen ab, der auf Rothamsteds Versuchsfeldern ausgebracht wurde.
Die Flaschen, chronologisch auf fünf Meter hohen Metallregalen angeordnet, reichen zurück bis zum ersten Weizenfeld von 1843. Nachdem sich in den ersten Proben Schimmel gezeigt hatte, wurden sie ab 1865 mit Korken, dann mit Paraffin und schließlich mit Blei verschlossen. Als während der Kriegsjahre Flaschen knapp wurden, versiegelte man die Proben in Blechdosen, die vorher Kaffee, Milchpulver oder Sirup enthalten hatten.
Tausende von Forschern stiegen auf Leitern, um die kalligrafischen Schriftzeichen auf den mit der Zeit vergilbten Etiketten zu entziffern – und ein wenig von der Bodenprobe zu entnehmen, die, sagen wir, im April 1871 auf Rothamsteds Geesecroft Field in einer Tiefe von 22,5 Zentimetern entnommen wurde. Doch viele Flaschen sind nie geöffnet worden: Neben der organischen Substanz bewahren sie auch die Luft ihrer Epoche. Sollten wir plötzlich verschwinden und kein Erdbeben eintreten, das die vielen Tausend Glasgefäße auf dem Boden zerklirren lässt, können wir mit einiger Gewissheit davon ausgehen, dass diese einzigartige Hinterlassenschaft uns noch lange überleben wird. Binnen hundert Jahren würde natürlich auch dieses stabile schiefergedeckte Dach den Einflüssen von Regen und Ungeziefer erliegen und die intelligentesten Mäuse würden möglicherweise herausfinden, dass bestimmte Gläser, wenn man sie anstößt und auf dem Betonfußboden zerspringen lässt, einen immer noch essbaren Inhalt zu bieten haben.
Nehmen wir jedoch an, dass die Sammlung, bevor sie solchem Vandalismus zum Opfer fällt, von außerirdischen Wissenschaftlern entdeckt wird, die zufällig auf unseren Planeten gestoßen sind. Stellen wir uns vor, sie finden das Rothamsted-Archiv mit seinen 300000 Proben, die noch immer in dicken Gläsern oder Blechbüchsen versiegelt sind. Wenn diese Besucher schlau genug waren, um den Weg zur Erde zu finden, werden sie sicherlich auch rasch herausbekommen, dass die eleganten Schleifen und Symbole auf den Etiketten eine Systematik haben. Sobald sie Klarheit über die Boden- und Pflanzenproben gewonnen haben, wird ihnen vielleicht bewusst, dass sie eine Zeitrafferaufzeichnung der letzten anderthalb Jahrhunderte menschlicher Geschichte gefunden haben.
Wenn sie mit den ältesten Gläsern beginnen, finden sie relativ neutrale Böden, die jedoch nicht sehr lange so blieben, als sich die britische Industriekapazität verdoppelte.
Weiter stellen unsere Besucher fest, dass sich der pH-Wert Anfang des 20. Jahrhunderts stärker in den sauren Bereich verlagerte und dass die Nutzung der Elektrizität zur Entwicklung von Kohlekraftwerken führte, welche die Luftverschmutzung über die Grenzen der Fabrikstädte hinaus in die ländlichen Gebiete trugen. Gleichzeitig gab es einen stetigen Anstieg des Stickstoffs und des Schwefeldioxids, bis Anfang der achtziger Jahre verbesserte Schornsteine die Schwefelemissionen drastisch senkten, woraufhin die Außerirdischen in den späteren Proben zu ihrer Überraschung gewisse Zusätze von Schwefelpulver finden, das die Landwirte nun nämlich ihrem Dünger beimischen mussten.
Unbekannt ist ihnen vielleicht eine Substanz, die auf Rothamsteds Grasfeldern erstmals Anfang der fünfziger Jahre auftauchte: Spuren von Plutonium, einem Element, das kaum in der Natur vorkommt, schon gar nicht in Hertfordshire. Wie Weinernten das jährliche Wetter verkörpern, so hinterließ der Fallout der Atomwaffentests in der Wüste von Nevada und später in der Sowjetunion seine Spuren in Rothamsteds fernen Böden.
Wenn die Außerirdischen dann das Ende des 20. Jahrhunderts entkorken, stoßen sie auf andere neue Substanzen, die es noch nie zuvor auf der Erde gab (und wenn sie Glück haben, auch auf ihrem Planeten nicht), etwa polychlorierte Biphenyle – PCBs – aus der Kunststoffherstellung. Dem bloßen Auge erscheinen die Proben ebenso harmlos wie die Erde, die hundert Jahre früher in Flaschen abgefüllt wurde. Doch das Sehvermögen Außerirdischer nimmt vielleicht Gefahren wahr, die wir nur mit Geräten wie Gaschromatografen und Laserspektrometern sichtbar machen können.
In diesem Falle können die Außerirdischen vielleicht auch die fluoreszierenden Spuren von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs) erkennen. Unter Umständen sind sie auch erstaunt,
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