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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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erhielten.
    In den 1850er Jahren war klar, dass bei gleichzeitiger Anwendung von Stickstoff und Phosphat die Erträge zunahmen und dass sich Spurenmineralien bei einigen Pflanzen als zu- und bei anderen als abträglich erwiesen. Zusammen mit seinem Partner Gilbert, der unermüdlich Proben nahm und die Ergebnisse aufzeichnete, testete Lawes bereitwillig jede Theorie – egal ob wissenschaftlich, selbst gebastelt oder abenteuerlich –, die versprach, das Pflanzenwachstum zu fördern. Laut Lawes' Biografen George Vaughn Dyke gehörte dazu der Versuch, Superphosphat unter Verwendung von Elfenbeinstaub herzustellen oder Saaten verschwenderisch mit Honig zu versorgen.
    Ein Experiment, das noch immer läuft, betrifft keine Feldfrüchte, sondern nur Gras. Eine alte Schafweide, direkt unterhalb von Rothamsted Manor gelegen, wurde in Streifen aufgeteilt und mit verschiedenen anorganischen Stickstoffverbindungen und Mineralien behandelt. Später fügten Lawes und Gilbert Fischmehl und den Dung von Tieren hinzu, die unterschiedliches Futter erhalten hatten. Als sich im 20. Jahrhundert der saure Regen verstärkte, wurden die Streifen weiter unterteilt und die Hälfte von ihnen mit Kalk bestreut, um das Wachstum bei verschiedenen pH-Konzentrationen zu untersuchen.
    Dieses Wiesenexperiment zeigte, dass anorganischer Stickstoffdünger das Gras zwar hüfthoch wachsen lässt, aber die Artenvielfalt unterdrückt. Während auf nichtgedüngten Streifen fünfzig Arten von Gräsern, Unkräutern, Gemüsepflanzen und Kräutern wuchsen, zeigten sich auf benachbarten Feldern, die mit Stickstoff gedüngt worden waren, nur zwei oder drei Arten. Da Landwirte in aller Regel nicht wünschen, dass andere Pflanzensamen mit dem von ihnen ausgebrachten Saatgut konkurrieren, haben sie damit keine Probleme, möglicherweise aber die Natur.
    Überraschenderweise hatte auch Lawes damit seine Schwierigkeiten. Inzwischen wohlhabend geworden, verkaufte er in den 1870er Jahren sein Kunstdüngerunternehmen, setzte aber seine faszinierenden Experimente fort. Ihn interessierte, wie die Bodenauslaugung zustande kam. Sein Biograf zitiert ihn mit den Worten: »Jeder Landwirt, der glaubt, er könne mithilfe von ein paar Pfund einer chemischen Substanz ebenso gute Ernten erzielen wie mit ebenso vielen Tonnen Naturdung, irrt sich gewaltig.« Lawes riet jedem, der Gemüse und Gartenkräuter ziehen wolle, er solle sich »eine Gegend suchen, wo er sich zu erschwinglichen Preisen einen großen Vorrat an Naturdung besorgen kann«.
    Doch in einem ländlichen Gebiet, wo man sich mühte, den Nahrungsbedarf einer rasch wachsenden städtischen Industriegesellschaft zu decken, konnten sich die Landwirte nicht mehr den Luxus leisten, genügend Milchkühe und Schweine zu halten, um die nötigen Mengen an organischem Dünger zu produzieren. Ende des 19. Jahrhunderts suchten die Landwirte überall im dicht besiedelten Europa verzweifelt nach Nahrung für ihr Getreide und Gemüse. Auf südpazifischen Inseln baute man den Guano ab, der sich in Jahrhunderten angesammelt hatte; in Ställen wurde der Mist zusammengekratzt; und selbst mit menschlichen Exkrementen wurden die Felder gedüngt. Laut Liebig hat man sogar die Knochen von Menschen und Pferden, die in der Schlacht von Waterloo ihr Leben gelassen hatten, gemahlen und als Dünger verwendet.
    Als der Druck auf die landwirtschaftlichen Nutzflächen im 20. Jahrhundert überhandnahm, experimentierte man bei Rothamsted Research mit Versuchsfeldern für Herbizide, Pestizide und kommunalen Klärschlamm. Die gewundene Straße, die zu dem alten Herrenhaus führt, ist jetzt gesäumt von großen Labors für chemische Ökologie, molekulare Entomologie und Pestizidchemie. Sie befinden sich im Besitz jener agrarwissenschaftlichen Stiftung, die von Lawes und Gilbert gegründet wurde, nachdem sie beide von Queen Victoria geadelt wurden. Rothamsted Manor ist zu einem Gästehaus für Wissenschaftler aus aller Welt geworden. Doch hinter all den glänzenden, modernen Einrichtungen befindet sich in einer 300 Jahre alten Scheune mit staubigen Fensterscheiben Rothamsteds bemerkenswertestes Vermächtnis.
    Es ist ein Archiv, das mehr als 160 Jahre umfasst – 160 Jahre menschlicher Bemühungen, Pflanzen zu nutzen. Die Proben, die in Tausenden von Fünf-Liter-Flaschen versiegelt sind, decken praktisch alles ab. Von jedem Versuchsstreifen nahmen Gilbert und Lawes Proben geernteter Getreidekörner, ihrer Stängel und Blätter sowie des Bodens, auf dem sie

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