Die Welt ohne uns
müssen vermutlich noch warten.
Doch auch die Sahara selbst war einst mit Flüssen und Teichen bedeckt. Mit Geduld – leider nicht der Geduld der Menschheit – wird sie es wieder sein.
12 Das Schicksal alter und neuer Weltwunder
Für den Fall, dass bei dem Wettstreit zwischen globaler Erwärmung und Abkühlung des Golfstroms die beiden Faktoren einander abschwächen, sagen einige Modelle vorher, dass sich die Flächen der hoch technisierten europäischen Landwirtschaft in einer Welt ohne Menschen mit Trespe und Schwingel, Lupinen, Kratzdisteln, Rübsamen und Wildem Senf bedecken werden. Binnen weniger Jahrzehnte wachsen Eichenschößlinge auf den sauren Böden der ehemaligen Weizen-, Roggen- und Gerstenfelder. Wildschweine, Igel, Luchse, Büffel und Biber breiten sich aus, Wölfe wandern aus Rumänien ein und, falls Europa kühler wird, Rentiere aus Norwegen.
In England würde das steigende Meer heftig gegen die bereits zurückweichenden Kreidefelsen von Dover branden und den 3 2-Kilometer-Abstand zwischen England und Frankreich noch vergrößern. Einst haben die Zwergelefanten und -flusspferde fast die doppelte Entfernung schwimmend zurückgelegt, um Zypern zu erreichen, also werden es auch hier wohl einige Tiere versuchen. Karibus, die im Wasser durch die isolierenden hohlen Haare ihres Fells Auftrieb erhalten, überqueren die Seen in Kanadas Norden, folglich könnten es ihre Vettern, die Rentiere, auch bis England schaffen.
Sollten einige tollkühne Tiere die Reise durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal hindurch wagen, nachdem der Zugverkehr zum Erliegen gekommen ist, könnte das Abenteuer durchaus gelingen. Auch ungewartet würde der Eurotunnel nicht so rasch überflutet werden wie viele U-Bahn-Schächte der Erde, weil er nur durch eine einzige geologische Schicht führt – Kreidemergel von äußerst geringer Durchlässigkeit.
Ob ein Tier es tatsächlich versuchen würde, steht auf einem anderen Blatt. Alle drei Tunnelröhren – je eine für die Züge nach Westen und nach Osten und eine mittlere Versorgungsröhre (»Service-Tunnel«) – haben rundum Betonwände. 50 Kilometer ohne Nahrung und Wasser – nur pechschwarze Dunkelheit. Trotzdem ist es nicht unmöglich, dass einige kontinentale Arten Großbritannien auf diese Weise rekolonisieren könnten: Die Fähigkeit vieler Organismen, sich an den unwirtlichsten Orten der Erde einzurichten – von Flechten auf antarktischen Gletschern bis hin zu Würmern in 80 Grad heißen Tiefseequellen – sind vielleicht ein Sinnbild des Lebens selbst. Wenn sich kleine, neugierige Tiere wie Wühlmäuse oder die unvermeidlichen Wanderratten in den Eurotunnel aufmachen, wird bestimmt irgendein abenteuerlustiger Wolf ihre Witterung aufnehmen und ihnen folgen.
Der Eurotunnel ist ein wahres Wunder unserer Zeit und mit 15 Milliarden Euro Baukosten auch das teuerste Projekt, das jemals in Angriff genommen wurde, bis China damit begann, mehrere Flüsse gleichzeitig einzudeichen. Durch die tief in der Erde liegende Mergelschicht geschützt, hat der Tunnel die besten Aussichten, einige Jahrmillionen zu überstehen, bis die Kontinentaldrift ihn auseinanderreißt oder wie ein Akkordeon zusammenstaucht.
Doch auch wenn er unbeschädigt bleibt, wird er irgendwann wohl nicht mehr benutzbar sein. Seine beiden Terminals liegen nur wenige Kilometer von den jeweiligen Küsten entfernt. Es besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass die englische Einfahrt in Folkestone, die fast 60 Meter über dem heutigen Meeresspiegel liegt, vom Wasser erreicht werden könnte: Dazu müssten die Kreidefelsen, die ihn vom Ärmelkanal trennen, schon gewaltig erodieren. Weit wahrscheinlicher ist, dass das Meer am französischen Terminal in Coquelles eindringt, der nur fünf Meter über dem Meeresspiegel auf der Ebene von Calais liegt. In diesem Fall würde der Eurotunnel nicht vollkommen geflutet werden: Die Mergelschicht, der er folgt, senkt sich in der Mitte des Ärmelkanals ab und steigt dann wieder an, daher würde sich das Wasser die tiefsten Stellen suchen, während einige Kammern trocken blieben – trocken, aber nutzlos, selbst für waghalsige Wandertiere.
Auch hätten sich die stolzen Erbauer der antiken Welt, die sieben Wunder vorzuweisen hatte, nicht träumen lassen, dass nach einer Zeitspanne, weit kürzer als die Ewigkeit, nur noch eines von ihnen – die ägyptische Cheopspyramide – erhalten sein würde. Wie ein Primärwald, dessen hohe Wipfel irgendwann
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