Die Welt ohne uns
niederbrechen, ist die Cheopspyramide in den letzten 4500 Jahren um knapp zehn Meter geschrumpft. Anfangs war das kein allmählicher Verlust – ihre Marmorhülle wurde im Mittelalter von arabischen Eroberern abgetragen, um Kairo zu erbauen. Der frei liegende Kalkstein ist jetzt wie jeder Hügel der Auflösung preisgegeben – in einer Million Jahren wird die einstige Pyramide nicht mehr zu erkennen sein.
Die anderen sechs Weltwunder waren aus noch vergänglicherem Stoff: die riesige Zeus-Statue des Phidias in Olympia, im Inneren mit einem Gerüst aus Eisen, Gips und Holz, außen mit Elfenbein, Ebenholz, Gold und Edelsteinen verkleidet, 475 n. Chr. einem Brand zum Opfer gefallen, nachdem man sie nach Konstantinopel geschafft hatte; die hängenden Gärten der Semiramis, deren Spuren in den Ruinen des babylonischen Palastes, 50 Kilometer südlich von Bagdad, noch zu besichtigen sind; der Koloss von Rhodos, eine kolossale Bronzestatue, die bei einem Erdbeben im 3. Jahrhundert v. Chr. unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrach und im Mittelalter als Schrott verkauft wurde; und drei Marmorbauwerke: der Tempel der Artemis in Ephesos, der von einem Feuer zerstört wurde, das Grab des persischen Königs Mausolos II. in Halikarnassos, ebenfalls von einem Erdbeben vernichtet und später von Kreuzfahrern abgebrochen, und der Leuchtturm auf der Insel Pharos, der den Hafen von Alexandria markierte und auch einem Erdbeben zum Opfer fiel.
Die Klassifizierung als Wunder verdankten diese Bauwerke teilweise ihrer betörenden Schönheit, so der Artemis-Tempel in Griechenland, häufiger aber ihren überwältigenden Ausmaßen. Überdimensionale menschliche Bauwerke flößen uns oft das Gefühl ein, klein und unbedeutend zu sein.
Weniger alt, aber imposanter als alle anderen ist ein Bauprojekt, das sich über 2000 Jahre und drei regierende Dynastien erstreckt und mit 6350 Kilometern einen Schutzwall von so monumentalem Charakter hervorgebracht hat, dass er nicht in der Landschaft zu stehen, sondern ein Teil von ihr zu sein scheint. Die Große Chinesische Mauer ist so überwältigend, dass man allgemein, wenn auch irrtümlich, annahm, sie müsse vom All aus zu sehen sein.
Doch wie jede andere Erhebung auf der Erdkruste ist auch die Große Mauer nicht unvergänglich. Das Konglomerat aus festgestampfter Erde, Steinen, gebrannten Ziegeln, Holz und sogar klebrigem Reis als Mörtel ist ohne menschliche Instandhaltung den Angriffen von Baumwurzeln und Wasser hilflos ausgeliefert – und der extrem saure Regen, den die industrialisierte Gesellschaft Chinas produziert, ist auch nicht eben hilfreich. Ohne Menschen würde die Mauer unaufhaltsam abgetragen werden, bis nur noch die Steine übrig sind.
Die Mauer, die sich ohne Unterbrechung vom Gelben Meer bis zur Inneren Mongolei erstreckt, ist gewiss sehr imposant, doch verblasst selbst sie vor dem eindrucksvollsten Bauvorhaben der Neuzeit, einem Weltwunder, das 1903 begonnen wurde, in dem Jahr, in dem New York seine U-Bahn einweihte. Denn mit diesem Bauwerk verfolgte die Menschheit kein bescheideneres Ziel, als der Plattentektonik zu trotzen, indem sie zwei Kontinente auseinanderriss, die sich drei Millionen Jahre zuvor vereinigt hatten. Nichts, was mit dem Panamakanal zu vergleichen wäre, ist jemals zuvor versucht worden, und wenig ist ihm seither gleichgekommen.
Zwar hatte man mit dem Suezkanal bereits dreißig Jahre zuvor Afrika von Asien getrennt, doch das war ein vergleichsweise einfacher chirurgischer Schnitt auf Meereshöhe durch eine leere, keimfreie Sandwüste ohne Höhenunterschiede gewesen. Das französische Unternehmen, das den Bau durchgeführt hatte, wandte sich anschließend der 82 Kilometer breiten Meerenge zwischen den beiden amerikanischen Halbkontinenten zu. In eitler Selbstüberhebung und mit verhängnisvollen Folgen unterschätzte man die hiesigen Bedingungen: dichter, mit Malaria und Gelbfieber verseuchter Dschungel, Flüsse, die bei wolkenbruchartigen Regenfällen anschwollen, und eine kontinentale Landbrücke, deren niedrigste Stelle immer noch 80 Meter über dem Meeresspiegel lag. Bevor ein Drittel der Strecke geschafft war, hatte die Gesellschaft nicht nur ihren Bankrott zu beklagen, der die französische Wirtschaft erschütterte, sondern auch den Tod von 22 000 Arbeitern.
1898, neun Jahre später, nahm der überaus ehrgeizige Unterstaatssekretär im Marineministerium Theodore Roosevelt den Untergang eines amerikanischen Schiffes, das nach einer (vermutlich durch
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