Die Welt ohne uns
man dazu einen großen Teil der Kontinentalscheide hätte abtragen müssen, gab es noch das Problem des wasserreichen Río Chagres, der aus dem dschungelbedeckten Hochland herabstürzte und auf seinem Weg ins Meer die Kanaltrasse kreuzte. Während Panamas achtmonatiger Regenzeit führt der Chagres genug Schlamm mit sich, um einen engen Kanal in wenigen Tagen, wenn nicht Stunden unpassierbar zu machen.
Die Amerikaner lösten das Problem, indem sie den Chagres anstauten und den durch die transkontinentale Wasserscheide bedingten Höhenunterschied mit insgesamt drei Schleusen überwanden: So werden die Schiffe vom Wasser über die Hügel getragen, welche die Franzosen vergebens zu durchstechen versuchten. Die Schleusen brauchen 200000 Liter Wasser, um ein hindurchfahrendes Schiff zu heben -Süßwasser, das mittels der Schwerkraft von dem aufgestauten Fluss geliefert wird und seewärts abfließt, wenn das Schiff die Schleuse verlässt. Während die Schwerkraft stets zur Verfügung steht, beziehen die Schleusen den Strom, den sie brauchen, um die Tore zu öffnen und zu schließen, von Generatoren, die ebenfalls mit dem Wasser des Chagres betrieben werden.
Es gibt zwei Notstromaggregate – das eine mit Dampf, das andere mit Diesel betrieben, aber, so Perez: »Ohne Menschen würde die Elektrizität keinen Tag reichen. Jemand muss entscheiden, woher die Energie kommt, ob die Turbinen zu öffnen oder zu schließen sind und so fort.«
Ohne Kontrolle würden vor allem die hohlen, schwimmfähigen Flügel der Stahltore ausfallen, die mehr als zwei Meter dick, 24 Meter hoch und zwanzig Meter breit sind. Jede Schleuse ist sicherheitshalber mit zwei Doppeltoren ausgerüstet, deren Flügel sich seit den achtziger Jahren in Kunststofflagern drehen, weil die ursprünglichen Messingangeln nach einigen Jahrzehnten stets korrodiert waren. Was wäre, wenn der Strom ausfiele, die Tore sich öffneten und so blieben?
»Dann ist alles aus. Die höchste Schleuse liegt 41 Meter über dem Meeresspiegel. Selbst wenn sie geschlossen bleibt – sobald ihre Dichtungen zerstört sind, läuft das Wasser aus.« Die Dichtungen, beim Schließen übereinandergreifende Stahlplatten an den äußeren Kanten der Torflügel, müssen alle fünfzehn bis zwanzig Jahre erneuert werden. »Der gesamte See könnte sich durch die Schleusentore leeren.«
Der Gatunsee breitet sich über dem Gebiet aus, durch das der Río Chagres einst in das Karibische Meer floss. Um von der pazifischen Seite dorthin zu gelangen, hätte man bei La Culebra, dem niedrigsten Bergsattel der Wasserscheide, einen 20 Kilometer langen Durchstich durch den Höhenrücken treiben müssen, der Panama in Längsrichtung teilt. So viel Erde, Eisenoxid, Lehm und Basalt zu durchdringen, wäre an jedem Ort der Welt eine große Herausforderung gewesen, doch selbst nach der französischen Katastrophe konnte niemand so richtig einschätzen, wie instabil die vollgesogene panamaische Erde war.
Der Culebra-Cut, der Durchstich bei den Culebra-Bergen, sollte ursprünglich eine Breite von 90 Metern haben. Als eine gigantische Schlammlawine nach der anderen monatelange Grabungsarbeiten zunichte machte, wobei Güterwagen und Dampfbagger teilweise unter dem Schlamm begraben wurden, musste die Böschung durchgehend abgeflacht werden. Am Ende wurde die Gebirgskette, die von Alaska bis Tierra del Fuego verläuft, in Panama durch ein Tal von Menschenhand unterbrochen, wobei der Einschnitt sechs Mal so breit war die Talsohle. Um ihn zu schaffen, bedurfte es sieben Jahre lang der täglichen Arbeitskraft von 6000 Männern. Die fast 80 Millionen Kubikmeter Erde, die sie bewegten, würden, zu einer kompakten Masse geformt, einen Asteroiden von mehr als einem halben Kilometer Durchmesser bilden. Mehr als hundert Jahre nach seiner Fertigstellung wird noch immer am Culebra-Cut gearbeitet. Da sich der Schlamm ständig ansammelt und es häufig zu kleineren Erdrutschen kommt, sind täglich Prähme mit Saugpumpen und Löffelbaggern auf der einen Seite des Kanals an der Arbeit, während die Schiffe auf der anderen Seite passieren.
In den grünen Bergen 30 Kilometer nordöstlich vom Culebra-Cut entfernt, stehen Modesto Echevers und Johnny Cuevas, zwei Hydrologen des Panamakanals, an einem Betonpfeiler über dem Alajuelasee. Er verdankt seine Existenz einem weiteren Staudamm, der 1935 flussaufwärts im Chagres erbaut werden musste. Das Einzugsgebiet des Chagres-Flusses ist eine der niederschlagreichsten Erdregionen;
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