Die Weltgeschichte der Pflanzen
Obst sowieso keine Rolle mehr. In der Antike wurde er vom Kulturapfel ( Malus domestica) verdrängt, der zwei Vorfahren hat: den Kaukasusapfel ( Malus orientalis ) und den Asiatischen Wildapfel ( Malus sieversii ), manchmal auch Altai-Apfel genannt.
Die Heimat des Asiatischen Wildapfels hat der bedeutende russische Botaniker Nikolai Iwanowitch Wawilow entdeckt: ein relativ kleines Gebiet im Südosten Kasachstans nahe der chinesischen Grenze und der kasachischen Hauptstadt Alma-Ata. Deren Name, Alma-Ata, bedeutet übrigens nichts anderes als »Vater ( ata ) der Äpfel ( alma )«. Dort liegt ein Gebirgszug namens Dsungarischer Alatau, und hier finden sich bis heute Wildvorkommen von Malus sieversii , dem Asiatischen Wildapfel. Dieser hat die Äpfel sozusagen genießbar gemacht.
Wawilows Entdeckung wurde erst nach dem Ende des Kommunismus bekannt. Der renommierte Botaniker (1887-1943), einer der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts, verhungerte 1943 in den Lagern des Gulag, weil er sich nicht gewissen stalinistischen biologisch-botanischen Doktrinen unterwerfen wollte, die auf falschen Annahmen und auf gefälschten Forschungsergebnissen anderer Botaniker beruhten.
Der Apfel ist in der gemäßigten Zone die wichtigste Obstart, weil der Baum winterhart ist und die Früchte auch ohne Kühltechnik lange lagern können. In dieser langen Lagerfähigkeit, bei der die Äpfel noch nachreifen, und als leicht verfügbares Ausgangsprodukt für Most lag seit jeher die große wirtschaftliche Bedeutung des Apfels. Der Baum verlangt regelrecht die Winterkälte; bekommt er sie nicht, treibt er später aus.
Die Äpfel, die wir als Tafelobst kennen, kommen erst in der Neuzeit auf. Von den weltweit circa 25000 Apfelsorten finden sichim Einzelhandel allenfalls drei Dutzend und in den Supermärkten gerade noch ein halbes Dutzend globaler Apfelsorten, die zudem allesamt noch jünger sind, denn sie stammen aus dem 19. Jahrhundert: Golden Delicious , eine gelbgrüne Sorte, entstand um 1900 in den USA . Granny Smith , der von »Großmutter Marie Ann Smith« 1868 in Australien entdeckte knallgrüne und sehr saure Apfel. Jonagold , 1943 in einer universitären Versuchsstation im Bundesstaat New York gezüchtet. Der knallrote, manchmal wie gelackt aussehende Red Delicious , entstand 1868 im amerikanischen Bundesstaat Iowa durch Zufall. Cox Orange aus dem Jahr 1825, benannt nach seinem englischen Züchter Richard Cox, der ihn erst im Ruhestand züchtete. Der Boskoop ist nach seinem Entstehungsort (1856 entdeckt) in den Niederlanden benannt. Berlepsch wurde 1880 in Grevenbroich gezüchtet und erhielt seinen Namen von dem verdienstvollen späteren preußischen Präsidenten der Rheinprovinz, dem Freiherrn von Berlepsch.
Zu den wesentlich älteren Apfelsorten zählen Goldparmäne, Renette und Borsdorfer. Borsdorfer, eine der ältesten Sorten Europas, wurde zur Stauferzeit um 1150 von Zisterziensern entdeckt und dokumentiert. Vom Zisterzienser-Mutterkloster Cîteaux in Burgund gelangte der Borsdorfer nach Deutschland, zum Beispiel ins Kloster Kamp bei Düsseldorf und bis nach Schlesien. Die Graue Französische Renette wurde spätestens um 1500 im Zisterzienserkloster Morimond in der Champagne gezüchtet. Morimond ist das Mutterkloster von Maulbronn.
Die Benediktiner- wie die Zisterzienserklöster spielten während des Mittelalters eine herausragende Rolle als Landwirtschaftspioniere. Es waren agrarische Großbetriebe, Handelsbetriebe, Zuchtanstalten mit europaweiten Kontakten. Das gilt nicht nur für Obst, Wein und die berühmten Kräutergärten, sondern für die Landwirtschaft allgemein und das Mühlenwesen. Die Zisterzienser errichteten ihre Klöster vorwiegend in abgelegenen Gegenden und machten deren Umgebung überhaupt erst urbar. Es war keineswegs so, dass die Mönche nur beim Gebet im Chorgestühl saßen oder in den Skriptorien heilige Schriften kopierten und illuminierten. Sie arbeiteten auch, getreu der benediktinischen Klosterregel ora et labora .
Die Goldparmäne, 1510 in der Normandie entstanden, galt jahrhundertelang als eine der besten Apfelsorten. Weil sie jedoch sehr anfällig ist und viel Erfahrung und Pflege erfordert, wird sie heute kaum mehr angebaut. Der Herrgottsapfel wurde erstmals 1539 in der Westpfalz gezüchtet; von ihm gibt es noch zwei Dutzend Altbäume in der Nähe von Kaiserslautern. Der Gravensteiner aus dem Jahr 1669 stammt aus Schleswig, damals ein Teil Dänemarks. Steve Jobs’ Lieblingsapfel McIntosh wurde 1796 von
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