Die Weltgeschichte der Pflanzen
vorhanden waren, wurden Erdbeeren sicher schon von Wildbeutern gesammelt. Im Mittelalter hat man die kleinen Walderdbeeren, die Wildform, auch angebaut. Unsere heutige Gartenerdbeere ist indes eine Kreuzung zweier größerer Wildarten vom amerikanischen Kontinent: einer nordamerikanischen, die Anfang des 18. Jahrhunderts am kanadischen Sankt-Lorenz-Strom entdeckt wurde, und einer noch größeren von der Pazifikküste Südamerikas. 1714 hatte der französische Offizier Amédée François Frézier für seinen Sonnenkönig unter dem Vorwand von Landvermessungsarbeiten in Peru und Chile Häfen in den dortigen spanischen Kolonien ausspioniert und war durch Zufall auf die chilenische Erdbeere ( Fragaria chiloensis ) gestoßen. Er konnte fünf dieser Pflanzen in den Botanischen Garten nach Paris bringen lassen. Hier tat sich zunächst nicht viel mit den chilenischen Erdbeeren. Erst als ein oder zwei Jahrzehnte später Ableger nach Brest gelangten, stellte sich heraus, dass sie im küstennahen Klima der Bretagne prächtig gediehen. Hier ergaben sich unbeabsichtigte Kreuzungen mit der nordamerikanischen Scharlach-Erdbeere, auch mit den europäischen Walderdbeeren, wie man 1740 beobachtete. Die daraus entstandene Kulturerdbeere ( Fragaria x ananassa ) wurde alsbald in Frankreich, England und Holland angebaut. Schon vor der Französischen Revolution waren diese Gartenerdbeeren in Frankreich sehr beliebt, in Deutschland aber noch ganz unbekannt. Ihr Anbau hierzulande begann erst 1840 im Badischen. Inzwischen gibt es 1000 Sorten.
Als diese Gartenerdbeeren um 1740 in England eingeführt wurden, wusste man zunächst nicht, woher sie eigentlich kamen. Ein Gerücht besagte »aus Surinam« in Südamerika. So erhielt die Art ihren botanischen Namen ananassa nach der damals am meisten bewunderten und hochgeschätzten amerikanischen Frucht.
Gerade anhand der zweigeschlechtlichen Erdbeeren wurde für die Botaniker der Aufklärungszeit die vor allem von Carl von Linné propagierte Erkenntnis, dass Pflanzen männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane haben, zu einer unumstößlichen Gewissheit. Das war der Anfang vom Ende der seit biblischen Zeiten herrschenden Vorstellung einer unveränderlichen Schöpfung von Pflanzen, Tieren und Menschen, ja der gesamten sichtbaren Welt durch Gott. Nun wurde ansatzweise klar, dass auch Pflanzen sich verändern und entwickeln konnten. Bei Charles Darwin mündeten diese neuen Gedanken viele Jahrzehnte später in eine wohldurchdachte Theorie der Evolution anstelle der Kreation.
Zunächst eröffnete sich für Gärtner und Züchter schon nach den ersten Erfolgen mit der Gartenerdbeere durch diese sich allmählich verbreitenden praktischen Erkenntnisse ein weites Feld: Erstmals konnte man bewusst Kreuzungen zwischen eng verwandten Pflanzen vornehmen. Die aktive, nicht nur zufällige Weiterzüchtung von Pflanzen konnte beginnen.
Die beliebten Erdbeeren sind ferner ein gutes Beispiel dafür, wie heutzutage durch kräftige Düngung übernatürliche Größen erreicht werden, weil Verbraucher eher zu solchen »prallen« Früchten greifen als zu den unscheinbaren Größen. Hier entscheidet allein die Optik.
Vor Spanien sind die USA das größte Erdbeeranbauland, vor allem Kalifornien. Danach folgen Südkorea, Japan, Polen und Deutschland. Europa insgesamt produziert 1,5 Millionen Tonnen Erdbeeren, die USA eine Million Tonnen. Für Eiscreme, Erdbeerjoghurts und ähnliche Industrieprodukte mit Erdbeergeschmack werden überwiegend künstliche Erdbeeraromen verwendet, die leicht und zuverlässig herzustellen sind. Sie haben den Vorteil, dass man sich nicht mit einem irgendwann vergammelnden Anteil eines Naturprodukts die schöne Fertigware verdirbt. Außerdem würden alle Erdbeerfelder Europas nicht ausreichen, um allein den Bedarf der Lebensmittelindustrie für derartige Fertigprodukte zu decken.
Wie viele andere Früchte können Erdbeeren eigentlich nur reif geerntet und möglichst rasch verzehrt werden (»von der Hand in den Mund«). Sie vertragen keine langen Transportwege, neigen zur alkoholischen Gärung oder setzen – wie jede Hausfrau weiß – leicht Schimmel an. Ohne zusätzlichen Konservierungsaufwand durch Zucker oder Kühlung halten sich Erdbeeren einfach nicht.
Unter den kleineren »Beeren« (Himbeere, Heidelbeere, Preiselbeere) hat nur die Erdbeere eine gewisse kulturelle Bedeutung als Symbolpflanze. Sie galt vor allem als Zeichen für Bescheidenheit und Demut – oder als Mahnung daran. Das
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