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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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anderen Daseinsform
     aufs Neue. Vielleicht als Affe, als Höllenkreatur oder, mit viel Glück, als weltentsagender Asket. Eine altindische Weisheit
     vergleicht die menschliche Situation mit einem Frosch in einem wasserlosen Brunnen. Buddha zog aus, das Wasser des Lebens
     zu finden.
    Dass es einer radikalen Lösung bedurfte, um den religiösen Hunger der Menschen zu stillen, hatten die indischen Weisheitslehrer
     schon früh erkannt. Ein einzelnes Menschenleben konnte unmöglich ausreichen: Seinen endgültigen Platz im Universum – das ihm
     »entsprechende Gegenüber«, das alle Entfremdungen aufhebt – findet der Mensch erst, nachdem er viele Wiedergeburten und viele
     Schicksale durchlebt hat. Jede Geburt liefert die Voraussetzung für eine weitere, hoffentlich bessere Geburt sowie für ein
     weiteres, hoffentlich besseres Leben. Die Erlösung muss sich der Mensch im Lauf seiner vielen Leben |40| verdienen, so lange, bis er den Kreislauf durchbrechen und ins göttliche Eine einziehen darf. Aber das gelingt nur wenigen.
     Eine geniale Lösung, weil sie zugleich eine andere Frage beantwortete: Warum ergeht es einigen Menschen so blendend und anderen
     so dreckig in der Welt? Durch die Wiedergeburtslehre erledigt sich die Antwort von selbst. Das Leben ist entweder eine Belohnung
     oder eine Strafe für viele vergessene, aber zuvor schon gelebte Leben.
    Geburtenkreislauf als Perpetuum mobile.
    |40| Hindu-Künstler haben das Rad des Geburtenkreislaufs oft dargestellt: ein kreisendes Ineinander von Himmel und Hölle, Göttern
     und Menschen, Tieren und Dämonen, schon als Perpetuum mobile kein Glücksrad. In unaufhörlicher Bewegung gehalten durch das
     Karma, das nichts vergisst, alles belohnt oder bestraft, ewig Auge um Auge, Zahn um Zahn. Was dir geschieht, es geschieht
     dir recht. Geburt ist Kassensturz: Auf den Cent genau zahlt das Karma aus, was dir zusteht, eine Bilanz deiner bisherigen
     Lebensläufe. Meine Fantasie reicht nicht aus, um mir das Ganze konkret und bildhaft vorzustellen.
    Schon die Gesellschaftsschicht, die Kaste, in die ein Mensch hineingeboren wird, fällt ihm als karmisches Schicksal zu. Die
     Kastenordnung war in ihren historischen Anfängen klar und übersichtlich. Man zählte vier Stände: den Opferstand (Brahmanen),
     den Kriegerstand (Kshatriyas), den Nährstand (Vaishyas) und den Dienststand (Shudras). Die Angehörigen der so genannten unreinen
     Berufe, die mit toten Tieren, mit Abfall oder mit Exkrementen in Berührung kommen (zum Beispiel Fischer, Fleischer, Gerber,
     Gassenkehrer, Abortreiniger), nennt man die Parias oder die Unberührbaren. Sie stehen außerhalb der Ordnung. In einen anderen
     Stand hinüberzuwechseln oder aus seinem Stand herauszufallen, ist unmöglich. Die Kasteneinteilung definiert sich als festgeschriebene
     Ständeordnung. Kaste ist Lebensschicksal. Nur die Familien der Brahmanen bilden den Opferstand, aus dem allein sich im frühen
     Indien die Priesterschaft rekrutierte. Genau wie im europäischen Mittelalter entsprachen Beruf und Lebensform den einzelnen
     Ständen. Nie würde ein brahmanischer Hindu eine Tasse Tee trinken, die ein Paria zubereitete, aus Angst, er könne sich beflecken.
    Aus dem Vierer-Kastensystem ging im Lauf der indischen Geschichte eine Fülle von Unter- und Mischkasten hervor, die selbst
     für Einheimische nicht mehr durchschaubar ist. Heute treten die Kastengegensätze allmählich in den Hintergrund. Die indische
     Verfassung von 1950 proklamierte die Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Kastenzugehörigkeit. Davon war man
     zu Buddhas Zeiten noch weit entfernt.
    Es braucht viel Mut, in dieser verwirrenden Welt zu bestehen! Im kleinen |41| häuslichen Rahmen begnügen sich die Menschen oft mit einfachen religiösen Praktiken, die auf die Familie zugeschnitten sind.
     Die Mutter bringt ihr krankes Kind zu einem Heilkundigen, der mit Beschwörungen die Schadgeister zu vertreiben sucht. Amulette,
     drei, vier und noch mehr, über den ganzen Körper verteilt, tragen die Männer auf ihren Arbeitselefanten, die sie im Dschungel
     vor dem Tiger schützen. Schutz- und Schadgeister kennt man zu Dutzenden in jedem Haus, in allen Familien. Es gibt unendlich
     viele davon, deren Namen sogar dem Alten unbekannt sind, der morgens die Hausschlange füttert. Für jede Lebenssituation ist
     ein Gott oder eine Göttin zuständig. Dämonen, Himmel- und Unterweltfürsten, Gottheiten, Myriaden und Abermyriaden, wer blickt
     da noch

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