Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
sympathisierten. Leider zeichnen unsere Quellen kein scharfes Bild von ihnen. Offensichtlich
waren es aber sie, die Hellenisten, wie sie das Neue Testament bezeichnet, welche die Botschaft der Jesus-Bewegung über das
Judentum hinaus zuerst in die Mittelmeerwelt trugen. Was hatte sie dazu bewogen? Stephanus, den führenden Vertreter der hellenistischen
Fraktion unter den ersten Christen, beschuldigte die Jerusalemer Religionsbehörde: »Dieser Mensch hört nicht auf, gegen den
heiligen Tempel und gegen die Tora zu reden. Wir haben ihn sagen hören: Jesus, der Nazarener, wird diese Stätte niederreißen
und die Weisungen, die wir von Moses haben, umstoßen.« Schwer zu sagen, ob Stephanus tatsächlich derart umstürzlerisch auftrat.
Allerdings werden wir davon ausgehen müssen, dass die Hellenisten Elemente der römisch-griechischen Aufklärung in die erste
Christengemeinde mit einbrachten. Vielleicht nahmen sie ihre kultisch-rituellen Pflichten nicht sonderlich ernst, und vermutlich
ließ auch ihre Loyalität der Tora gegenüber zu wünschen übrig – wenigstens aus Sicht der strengen Pharisäer.
Für Paulus war dies eine gute Gelegenheit, sich die ersten Sporen zu verdienen. Schließlich stammte er selbst aus der Diaspora.
Wie wir ihn aus seinen |126| Briefen kennen, wird der junge Mann aus Tarsus sich vorher gründlich über die Jesus-Anhänger informiert haben, die sich damals
noch nicht als Christen bezeichneten. Der Name »Christianer« stammt aus dem Hellenismus und bürgerte sich erst im Lauf von
Generationen ein.
Die ersten Christen
Schauen wir, was Paulus bei seiner Recherche herausfand. Nichts Spektakuläres. Die christlichen Juden lebten Tür an Tür mit
den anderen Juden, brachten Opfer dar, verrichteten ordnungsgemäß ihre Gebete, sie zahlten die Tempelsteuer. Bei den meisten
handelte es sich um einfache Menschen, die in einer Art Gütergemeinschaft lebten. Ähnliches kannte Paulus von den anderen
jüdischen Glaubensrichtungen auch.
Nur ein spezifisches Ritual unterschied die Jerusalemer Christen von den übrigen Frömmigkeitsbewegungen: Sie begingen am ersten
Wochentag eine besondere Mahlzeit, eine Dankesmahlzeit in Erinnerung an ihren gekreuzigten Herrn. Aus Sorge, die römisch-jüdischen
Behörden könnten unter seinen Anhängern ein Blutbad anrichten, hatte Jesus sich seinen Häschern freiwillig gestellt, mit den
Worten: »Wenn ihr mich sucht, dann lasst diese gehen!« Da verließen ihn alle seine Anhänger und flohen, so heißt es weiter
im Text.
Er ahnte, dass die führenden Kreise der Stadt ihn als Unruhestifter mit dem Tod bedrohen würden. Bei seiner letzten Mahlzeit
verabschiedete er sich, wie man weiß, auf bedeutungsvolle Weise von den Seinen. Dabei nahm er das Brot, sprach den Segen darüber,
brach es und teilte es unter den Worten mit ihnen: »So liefere ich mich aus für euch!« Danach segnete er den Wein und ließ
mit den Worten den Becher reihum gehen: »So verbunden bleibe ich euch, tut das zu meinem Gedenken: Wo zwei oder drei von euch
in Erinnerung an mich beisammen sind, werde ich unter ihnen sein!«
Noch in derselben Nacht saß man über Jesus zu Gericht, und seine Richter überstellten ihn als Aufwiegler den Römern. Diese
ließen ihn Tags darauf zusammen mit anderen Verbrechern ans Kreuz schlagen. Am dritten Tag, erzählten die Christen, erschien
er dem Jakobus von Nazareth, seinem leiblichen Bruder, und danach anderen führenden Leuten seines Freundeskreises. Sie sagten:
»Der Herr ist auferstanden, der Herr ist wahrhaftig auferstanden!«
An jene letzten Tage mit ihrem Herrn erinnern sich die Christen bei ihrem Mahl und beschließen das Essen mit dem Gebet: »Maranatha!«
Der Herr |127| kommt, der Herr ist da! Die Christen erwarten nämlich, dass Jesus bald leibhaftig aus dem Himmel herabsteigen werde, um Israel
zu erlösen.
Viel mehr wird die Recherche des jungen Pharisäers Paulus unter den Christen der Hauptstadt nicht zu Tage gefördert haben.
Es waren unauffällige Leute. Die Sache mit der angeblichen Auferstehung mag ihm eigenartig erschienen sein, denn immerhin
war Jesus nach Recht und Gesetz hingerichtet worden. Das genügte jedoch nicht, um mit Gewalt gegen die Judenchristen vorzugehen.
Die Kreuzigung lag schließlich Jahre zurück, ein Todesurteil unter so vielen anderen, die die Römer ständig vollstreckten.
Außerdem waren die Anhänger von Jesus danach nicht wieder auffällig geworden. Im
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