Die Weltverbesserer
einer Kreuzung verlangsamte Gayne abermals seinen Schritt.
»Heute morgen habe ich noch keinen Adeligen gesehen«, murmelte er. »Auch keinen ihrer Diener, und das ist noch seltsamer. Aber jetzt können wir nicht umkehren – zu viele Leute haben uns gesehen.«
Sie überholten einige Narmpfs, die zu einem Metzger geführt wurden. Sie waren Landtiere, weder an die Stadt noch an die vielen Leute gewöhnt. Ihre mächtigen Körper waren angespannt, und die Schädel zitterten ängstlich.
Bald näherten sie sich dem Hof des Lebenstempels und dem Turm der Tausend Augen. Der cremefarbene Marmor des Tempels schimmerte in der Spätmorgensonne, und sogar das Schwarz des Turmes glitzerte. Farrari starrte zu dem entfernten Wandteppich und versuchte einzelne Szenen auszumachen, bis Gayne ihm erneut befahl, nicht zu gaffen.
Bevor die Straße in den riesigen Hof mündete, erhob sich eine Barriere. Eine Formation von Kru-Soldaten stand dahinter, und im Hof bemühte sich eine Kavallerietruppe, die Grils in Reih und Glied zu bringen.
Plötzlich erklangen Trompeten.
Gayne blieb abrupt stehen und blickte sich verwirrt um. Die Leute strömten aus ihren Häusern, und die Straße füllte sich. Lautlos drängte sich die Menge. Gayne flüsterte Farrari zu: »Wir sind mitten drin. Was immer auch geschieht, bleiben Sie dicht bei mir.«
Die Trompeten schmetterten weiter, und aus anderen entfernten Stadtteilen kam Antwort. Die schweigenden Stadtbewohner drängten sich an den Tempel heran, und Farrari brachte den Kuchen in senkrechte Position, um ihn zu schützen.
Und dann sah er den Tempel. Vor dem Eingang erhob sich eine breite Terrasse, und auf ihr saß die rascische Aristokratie. Ihre Kleidung glänzte in verwirrender Farbenvielfalt. Der Wandteppich des alten Kru hing noch immer über der Fassade. Die vorspringenden Steingebilde am Turm, die er so lange nicht hatte identifizieren können, entpuppten sich nun als Balkone, und auf einem von ihnen, hoch über dem Wandteppich, stand die imposante Gestalt eines Priesters, flankiert von Trompetern.
Farrari ließ sich von der Menge treiben, den Blick auf den Tempel gerichtet. Als er sich nach einer Weile umsah, stellte er fest, daß Gayne verschwunden war. Er hob sich auf die Zehenspitzen und hielt nach ihm Ausschau, versuchte sich zum Eingang zurückzudrängen, gab dies aber bald auf. Er war allein in der schweigenden Masse der Bewohner von Scorv, und zu seiner Überraschung fühlte er keine Angst. Er sagte sich auch, daß in dieser riesigen Menge niemand Augen für einen simplen Lehrling haben würde.
Er ließ sich wieder von der Menge treiben. Plötzlich merkte er, daß die Leute in seiner Nähe ihm Platz machten. Der Kuchen mit den Symbolen des Kru hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.
Die Trompeter auf dem Balkon senkten ihre Instrumente. Aus der Ferne erklangen noch einige Trompetenklänge wie schwache Echos, aber schließlich verstummten sie auch. Das Gedränge wurde so dicht, daß Farrari bald fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. Dann beugte sich der Priester auf dem Balkon mit erhobenen Armen vor und begann zu sprechen. Seine ersten Worte waren ein undeutliches Murmeln, doch plötzlich erhob er die Stimme zu einem kreischenden rhythmischen Gesang. Farrari bemühte sich, einzelne Worte zu verstehen, aber es gelang ihm nicht.
Der Wandteppich wurde gesenkt und zusammengefaltet. Ein weißer Vorhang wurde über die Fassade gezogen. Zu diesem Zeitpunkt hätte laut Prochnow die Zeremonie vertagt werden müssen, um den Heiligen Ahnen Zeit zum Überlegen zu geben, aber der Priester sang weiter und hob in dramatischer Geste flehend die Hände.
Das Tuch wurde gesenkt und erneut erhoben. Die Fassade war noch immer leer. Der Priester stimmte erneut seine flehenden Gesänge an. Fünfmal wurde dies wiederholt, und nach dem fünften Mal zeigte sich Bewegung hinter dem Vorhang.
Die Sonne brannte mittlerweile unerträglich heiß vom Himmel. Farrari war in Schweiß gebadet, Schweiß rann unter seiner engsitzenden Kappe hervor. Er begann sich schwach zu fühlen, und er wunderte sich, daß die Hitze den Rascs nichts auszumachen schien.
Der letzte Bittgesang des Priesters endete in einem schrillen Schrei. Das Tuch senkte sich, die Heiligen Ahnen hatten gesprochen, das Porträt des neuen Kru zeigte sich unverhüllt seinen Anbetern. Erregtes Gemurmel ertönte in der Menge. Der Adel und die Priester verschwanden im Tempel, und die Stadtbewohner begannen sich zurückzuziehen.
Farrari fühlte sich leer
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