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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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rechten Auges zucken.
    Aber Morgenluft macht sich gut, und auf dem Immobilienmarkt gibt es weitere Anzeichen der Erholung. Als Vertrauensbeweis hat Persimmon, das größte Bauunternehmen des Landes, die Rückstellungen aufgelöst, die sie für mögliche Abstürze der Immobilienpreise gebildet haben. Auch die isländischen Banken haben sich stabilisiert, dank eines Kredits des IWF in Höhe von zwei Milliarden Dollar.
    Bei Edenthorpe Engineering sieht es nicht so rosig aus. Laut einer Kurzmeldung sind die Aktien auf 85 Pence abgestürzt, und es gibt Gerüchte, dass die Firma in Konkurs gehen wird. Es sind doch wohl nicht seine eigenen Leerverkäufe gewesen, die das bewirkt haben? Serge recherchiert kurz bei BBC Business. Siebenhundert Arbeitsplätze in Gefahr. Scheiße! Er schließt die Augen und versucht das Summen seines Gewissens auszuschalten. Aber noch während er mit seinen Skrupeln ringt, flüstert eine andere Stimme: »Wenn du weiter gehaltenund für 85 Pence verkauft hättest, hättest du noch mehr abgesahnt.«
    Er ist so in den Bildschirm vertieft, dass er nicht merkt, wie still es im Handelsraum geworden ist. Als er aufsieht, sind alle Augen auf den Eingang gerichtet. Da steht Chicken mit einem der amerikanischen Anzugträger – Craig Hampton oder Max Vearling, er hat vergessen, welcher. Sie unterhalten sich flüsternd und sehen sich um.
    Was suchen sie? Wen suchen sie?
    Dann bleibt Chickens wacher Jagdhundblick auf ihm ruhen. Serges Eingeweide ziehen sich zusammen.
    Die E-Mail: »Morgen. Mx.« Ein achtlos weggelassener Vokal. Ja, es ist Max Vearling. Da steht er und sieht Serge an, mit einem verschlagenen halben Lächeln. Das war’s also, ein geflüstertes Wort in sein Ohr, der schweigende Marsch in ein Nebenzimmer, wo die Inspectors Birkett und Jackson oder irgendwelche Blödmänner von der FSA warten. Wie bescheuert er gewesen ist, die Regeln zu brechen. Wie absolut bescheuert, zu glauben, er käme damit durch.
    Er versucht ruhig zu bleiben, während er sich nach einem Fluchtweg umsieht, doch sein Herz schlägt so laut, dass er kaum denken kann. Es gibt keinen Ausgang aus dem Handelsraum – beziehungsweise es gibt einen , doch der wird von Chicken und Max Vearling blockiert. Jetzt kommen sie langsam den Gang herauf. Sie steuern die Securitisation an – sie kommen zu ihm.
    »Tolle Nachrichten von Persimmon, oder?«, ruft Toby, als sie vorbeigehen, und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.
    Gott segne dich, ja, verwickle sie in ein Gespräch, du Schleimer!
    Max Vearling bleibt einen Moment stehen, um Floskeln auszutauschen, aber Chicken geht unbeirrt weiter. Er bleibt vor Serges Tisch stehen und sagt leise: »Interessante Entwicklung bei Edenthorpe Engineering, was, Freebie?«
    Gleißende Panik flutet Serges visuellen Cortex. Eine Sekunde lang wird alles schwarz. Dann strömt Licht herein, stroboskopartig wie in einem Alptraum. Er springt auf die Füße, duckt sich an Chicken vorbei und rennt in die entgegengesetzte Richtung zum Ende des Gangs, ohne sich umzusehen, reißt den Hamburger fast von seinem Stuhl, macht eine Wende nach links und sprintet durch den nächsten Gang zurück. Die Leute starren ihn an, aber keiner versucht ihn aufzuhalten. Beim Rennen scheint sich die Welt um ihn herum zu verlangsamen, in Zeitlupe zu kollabieren. Seine Kollegen schwenken die Arme wie träge Schwimmer, als wäre die riesige Halle statt mit Luft mit Wasser gefüllt. Große glasige Blasen steigen zur Oberfläche, und er ertrinkt, ertrinkt.
    An der Tür bleibt er stehen und wirft einen Blick über die Schulter zurück. Alle starren ihn an, die Gesichter verzerrt von der Tiefseeströmung, die abgehackten Stimmen unverständlich wie Möwengeschrei. Er stößt die Tür auf und stolpert in die Lobby, ringt nach Luft. Glück gehabt – der Fahrstuhl wartet. Er drückt den Knopf und fährt nach unten, abwärts durch die ratternde Speiseröhre der FATCA in das sonnendurchflutete Atrium des Empfangs – AUDACES FORTUNA IUVAT –, an den munteren Mädchen am Empfangstisch vorbei und hinaus ins Freie. Die Sonne fällt in breiten, schrägen Strahlen zwischen den hohen Gebäuden hindurch. Niemand ist auf der Straße. Er fängt zu rennen an.
    Am Ende der Straße biegt er rechts in eine kleine Gasse ein, die ihn schließlich am Paternoster Square ausspuckt, und er hetzt über den Backsteinplatz – wo kommen plötzlich die verdammten Schafe her? – auf St. Paul’s zu. Sein Atem ringt sich heiser keuchend aus seinem Mund. Seine Brust

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