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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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haben Sie es mal ausprobiert, mein Lieber?«
    »Nein. Ich schätze, es tut weh.«
    »Nicht, wenn es richtig gemacht wird.«
    Er sieht sich heimlich ihre Füße an. Sie wirken ziemlich klein. Größe 42, hatte sie in der E-Mail geschrieben.
    Eine Frage schiebt sich an die schmerzende Oberfläche seines Bewusstseins. »Ich ... wie bin ich eigentlich hergekommen?«
    »Im Taxi. Ich wollte einen Krankenwagen rufen, aber Sie haben mich angebettelt, Ihnen eine Chance zu geben. Ich konnte Sie schließlich nicht blutend auf der Straße liegen lassen, oder?«
    »Wow. Eine gute Samariterin.« Seine Stimme ist tränenerstickt. »Aber ... hatten Sie keine Angst? Ein fremder Mann ...?«
    »Beastie passt auf mich auf, wenn meine Kunden frech werden. Er kann ziemlich rabiat werden, was, du böser Junge?«
    Beastie gibt ein »Wuff!« von sich und peitscht mit seinem Schwanz gegen Serges Bein.
    Im Zimmer ist es eng und stickig. Er hat hämmernde Kopfschmerzen, und immer wieder blitzt es am Rand seines Gesichtsfelds. Er nimmt den schwachen Geruch von irgendetwas Ekelhaftem wahr, es dauert einen Moment, bis er merkt, dass es der Hund ist.
    »Warst du ein böser Junge, hm?«, sagt sie schäkernd.
    »Nein, äh ... danke, Juliette. Ich stehe nicht so darauf.«
    Sie streichelt dem Hund den Bauch, und der grunzt genüsslich und rollt sich auf den Rücken, walkt die Luft mit seinen riesigen, haarigen Pfoten.
    »Sie arbeiten in der City, oder?«, fragt sie.
    »Ja. Na ja, ich ... ich weiß nicht genau.«
    »Zu mir kommen viele City-Banker. Ich helfe ihnen dabei, all das ... Angestaute loszuwerden.« Sie faltet die Hände. »Überlegen Sie es sich, mein Lieber. Für Sie mache ich eineSitzung umsonst. Sie müssen sich nicht fürchten. Bei mir sind Sie in professionellen Händen. Zum Bad geht es da lang, falls Sie sich vorher sauber machen wollen.« Ihre Stimme ist nüchtern, mit einer leichten regionalen Färbung, die er nicht einordnen kann.
    Taumelnd kommt er auf die Füße und fragt sich, ob er einfach wegrennen soll.
    »Hallo, Kartoffel«, murmelt er seinem bleichen, geschundenen Gesicht im Badezimmerspiegel zu. Seine Nase ist verkrustet und blutet immer noch ein bisschen, ein Bluterguss zieht sich bis zur Stirn hinauf und lässt die Haut um seine Augen anschwellen, wodurch er alles verschwommen sieht. Er säubert sich das Gesicht mit Tüchern aus einem mit Spitze verzierten Kosmetiktuchspender. Für jemanden mit einem so fesselnden Beruf ist Juliettes Geschmack überraschend romantisch. Das Bad ist voller Fläschchen und Tiegel, Bürsten, Scheren, Pinzetten, Vitamine, Lippenstifte. Ihr Parfum ist Miss Dior Chérie – das gleiche, das Babs benutzt hat. Er spritzt sich ein wenig aufs Handgelenk und riecht daran, um der alten Zeiten willen. Erinnerungen tauchen auf. Die gute Babs. Sie war ein liebes Mädchen. Eins der besten. Er hofft, sie hat in ihrem neuen Leben das Glück gefunden. In ihrem neuen weichen, lesbischen Leben. Sein Schwanz regt sich. Aus irgendeinem Grund hat er Tränen in den Augen.
    Vor dem Badezimmer knurrt Beastie.
    »Alles in Ordnung, mein Lieber?«, fragt Juliette, als er wieder ins Wohnzimmer wankt und aufs Sofa sinkt.
    »Ja, alles gut. Nur ein bisschen ... komisch.«
    Er zittert, trotz der Schwüle in der Wohnung. Sein Kopf hämmert wieder, und neue Schmerzpfeile schießen ihm in die Schläfen.
    »Wir müssen nicht gleich anfangen, George. Vielleicht später. Wenn ich mit meinen Kunden fertig bin.«
    George?
    »Ja. Gut. Oder ... vielleicht ein andermal?«
    Er versucht aufzustehen, aber seine Beine geben unter ihm nach. Als er sich der Schwerkraft ergibt, klickt eine weitere Erinnerung in seinem Gehirn: »Freitag, achtzehn Uhr, du böser Junge, du.« Falls er dann noch da wäre, könnte er Zeuge von Chickens Geißelung werden, vielleicht sogar mit dem Handy ein paar Fotos schießen – das wäre nützlich, falls Chicken eine Ermunterung braucht, bei gewissen irregulären Transaktionen auf dem 1601-Konto ein Auge zuzudrücken.
    »Ehrlich gesagt bin ich ziemlich fertig. Könnte ich mich einfach noch mal ein bisschen hier hinlegen ...?«
    Juliette macht ein besorgtes Gesicht. »Keine Eile. Bleiben Sie, solange Sie wollen, mein Lieber. Um sechs habe ich einen Kunden.«
    Sie nimmt ein Glas Wasser und reicht ihm zwei kleine Tabletten. »Hier, nehmen Sie die. Damit schlafen Sie besser. Strecken Sie sich auf dem Sofa aus. Rutsch rüber, Beastie.«
    Sie gibt dem Pudel wieder einen Klaps. Das Viech plumpst auf den Boden,

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